Erstmals Urteil direkt gegen Samenbank: Betreiber muss Spenderidentität nennen

Am 27. April 2017 hat das Amtsgericht Berlin-Wedding eine Samenbank dazu verurteilt, einem 8-jährigen Mädchen Auskunft über die Identität des Mannes zu übermitteln, mit dessen Samen es 2008 gezeugt worden ist (AG Wedding Urteil v. 27.04.2017 – 13c 259/16).

Die Spenderdaten, die die Samenbank mitteilen muss, sind Vor- und Nachname des Mannes, Geburtsdatum, Personalausweisnummer und Anschrift zum Zeitpunkt der Spende.

Das Gericht sprach dem Kind – gesetzlich vertreten durch seine Eltern – den Erhalt der Spenderdaten zu und folgte in seiner Begründung der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 28.01.2015 – XII ZR 201/13) und einem jüngeren Urteil aus Hannover (AG Hannover, Urteil vom 17.10.2016 – 432 C 7640/15).

Neu an dem aktuellen Urteil ist, dass nicht der behandelnde Arzt sondern ausschließlich die Samenbank zur Auskunft verklagt wurde.

Zum Prozessverlauf:

Die Eltern des Kindes hatten zunächst außergerichtlich sowohl bei der Samenbank als auch bei dem damals behandelnden Kinderwunschzentrum eine notarielle Datenhinterlegung der Spenderdaten angefragt. Beide Einrichtungen hatten dies abgelehnt, so dass sich die Eltern nach einiger Zeit für den Rechtsweg entschieden. Sie beauftragten die Rechtsanwältin Dr. Helga Müller (Frankfurt) als Prozessbevollmächtigte und beklagten die Samenbank auf Herausgabe der Daten, um den Umschlag mit den Spenderdaten danach auf Kosten der Familie bei einem Notar zu hinterlegen. Mit der Samenbank, die nicht zugleich Behandlerpraxis war, hatten die Eltern damals vor der Spendersamenbehandlung einen schriftlichen Vertrag geschlossen.

Der Beklagte brachte in dem Prozess alle klassischen Argumente vor, die bei Auskunftsverweigerungen standardmäßig genannt werden (1). So beantragte er die Klage abzuweisen, da aus seiner Sicht nicht sicher sei, dass das Kind mit der gelieferten Samenprobe gezeugt worden sei, dass der Samenspender nicht ausdrücklich auf seine Anonymität verzichtet habe und dass vor allem kein Auskunftsanspruch gegenüber der Samenbank bestünde. Ein Anspruch gegen die Samenbank sei schon deswegen ausgeschlossen, weil es eine notarielle Verzichtserklärung der Eltern gebe. Die Kläger hätten sich vorrangig an den Behandler zu halten. Bei der Güterabwägung seien die Interessen der Beklagten und des Samenspenders zu berücksichtigen. Durch das Transplantationsgesetz und das Bundesdatenschutzgesetz sei ausgeschlossen, dass Identifikationsdaten beim Notar hinterlegt werden könnten.

Im weiteren Prozessverlauf wurde noch die behandelnde Ärztin als Zeugin befragt, die dem Gericht die damaligen Abläufe schilderte und deutlich machen konnte, wie unwahrscheinlich eine Vertauschung der Samenproben in diesem Fall ist. Die Ärztin hat pünktlich zur Vorladung auch noch einigen Aufwand betrieben, die Dokumente mit der Spenderidentität für ihre eigenen Unterlagen zu beschaffen. Sie forderte die Spenderidentität zunächst aus der ehemaligen Praxis an, in der sie 2008 noch gearbeitet hatte. Doch dort lagen die Spenderdaten anscheinend auch nicht vor. Sie erhielt den Umschlag schließlich erst von der Samenbank direkt. (In der Verhandlung holte sie kurz diesen Umschlag hervor, der von der Samenbank mit einem roten Aufdruck versehen worden war: „Achtung, das mittels Fremdsperma gezeugte Kind ist die einzige Person, die nach Prüfung ihrer Identität den versiegelten Umschlag von Ihnen ausgehändigt bekommen und öffnen darf, wenn es volljährig ist.“)

Das Gericht ließ die Einwände der Samenbank gegen eine Auskunft nicht gelten und widerlegte sie in seiner Urteilsbegründung:

Laut Urteilsspruch entfaltet der Vertrag Schutzwirkung für das zu zeugende Kind. Dies gelte nicht nur für Verträge mit Behandlern sondern auch für Verträge mit einer Samenbank. Es bedürfe keines Mindestalters des Kindes, und Eltern könnten im Rahmen ihres Elternrechts in eigener Verantwortung entscheiden, wann und unter welchen Umständen sie das Kind informieren. Die Auskunft sei für den Samenbankbetreiber zumutbar, das verfassungsrechltich geschützte Recht des Kindes  auf Kenntnis der Abstammung überwiege im Falle einer Interessenabwägung. Es sei nicht erforderlich, zuerst den ärztlichen Behandler in Anspruch zu nehmen, und die Samenbank sei offenbar in der Lage, die Auskunft zu erteilen.

DI-Netz als Prozeßbeobachter

Die Kläger sind aktive Mitglieder im DI-Netz – der Deutschen Vereinigung von Familien nach Samenspende. Das DI-Netz hat den Gerichtsprozess intensiv begleitet und war bei den öffentlichen Verhandlungen als Prozessbeobachter vor Ort. Die Vorsitzende des DI-Netzes Claudia Brügge äußerte sich folgendermaßen: „Wir kennen die Familie gut und sind ganz an der Seite des Mädchens und ihrer Eltern. Als Verein haben wir ihr Auskunftsanliegen gern unterstützt. In den letzten Jahren mussten wir leider immer wieder feststellen, dass Auskunftsanfragen zwischen Samenbanken und behandelnden Praxen hin- und hergeschoben werden und Zuständigkeiten für die Auskunft geleugnet werden. Immer wieder werden Ausflüchte gesucht.“

Die Bedeutung des Urteils

Das Urteil zeigt erstens, dass sowohl behandelnde Ärzte als auch Samenbanken im Zweifelsfall Auskunft erteilen müssen. Behandler können sich bei Auskunftsklagen nicht damit herausreden, dass die Samenbank eigentlich die Auskunft erteilen müsse, andersherum die Samenbanken nicht damit, dass der Behandler stattdessen dazu verpflichtet sei (2). Wer verklagt wird, muss die Auskunft erteilen.

Zweitens zeigt das Urteil erneut, dass es tatsächlich kein Mindestalter gibt, um ein Auskunftsbegehren geltend zu machen. Mit ihren acht Jahren ist das Mädchen zwar nicht das jüngste Kind, das bisher in Deutschland die Spenderidentität erhält, denn es gibt andere Behandler und Samenbanken, die ohne Rechtsstreit schon jüngeren Kindern bzw. ihren Eltern eine Auskunft erteilt haben. Doch in den bisherigen Gerichtsverfahren waren die Kinder alle älter. Das Urteil wird also gerade den Eltern jüngerer Kinder Mut machen.

Das Gericht urteilte auch, das Kind habe zwar einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der Identität des Spenders, ein spezieller Anspruch auf notarielle Datenhinterlegung gegen den Samenbankbetreiber bestünde allerdings nicht. Auch die Eltern hätten keinen eigenen Auskunftsanspruch sondern könnten ihn nur als gesetzliche Vertreter des minderjährigen Kindes geltend machen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob die zur Auskunft verurteilte Samenbank in Berufung gehen wird.

Offen geblieben

Die ursprüngliche Klage zielte übrigens auch auf eine Feststellung der Sittenwidrigkeit des Verzichts der Eltern auf Kenntnis der Abstammung, der ihnen vor einer Insemination abgefordert wird. Die Sittenwidrigkeit solcher Verträge lässt sich aus dem Grundrecht der Frau auf körperliche Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und aus dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 1 GG) denken. Leider hat das Gericht dazu nicht Stellung genommen.

Genauso wenig Stellung genommen hat das Gericht zu dem weiteren Ziel der Klage, nämlich der Feststellung einer vertraglichen Pflicht aus Treu und Glauben auf Hinterlegung der Daten bei einem Notar.

Nach eigenen Aussagen war der Richter nicht bereit, insoweit eine Grundsatzentscheidung auszuurteilen

 

(1) vgl. DI-Netz Prozeß-Bericht BGH v. 29.1.15 Az. XII ZR 201/13;  AG Hannover 17.10.2016 – 432 C 7640/15

(2) vgl. DI-Netz Studie zur „Spendersamenbehandlung in Deutschland 2016“, in der Samenbanken und Kinderwunschzentren ganz unterschiedliche Angaben dazu machten, wie sie ihre Verpflichtungen und Abläufe hinsichtlich einer Auskunftsanfrage einschätzen (S. 16-18).