Wenn Ärzte eigenes Sperma spenden

Kommentar von Claudia Brügge, Vorsitzende DI-Netz e.V.*

„Stina“ ist das Pseudonym einer 37-jährigen Frau, die vor einigen Jahren den Verein „Spenderkinder“ und die gleichnamige Webseite mit aufgebaut hat (1).

Stina wurde 1979 durch eine Spendersamenbehandlung in der Essener Uniklinik gezeugt (2). Ihre Eltern klärten sie erst im Alter von 26 Jahren über die Samenspende auf. Anschließend wollte Stina die damaligen Ärzte auf Herausgabe der Spenderidentität verklagen, blieb jedoch auf juristischem Wege erfolglos (3).

Jetzt allerdings meldet Stina auf der Spenderkinder-Webseite, dass sie nach zwölf Jahren Ungewissheit doch ihren Spender identifizieren konnte (4). Mithilfe einer DNA-Datenbank und mithilfe des Internets.

Stinas Recherche-Bericht

In ihrem Posting beschreibt Stina, wie sie sich bei drei verschiedenen internationalen Firmen, die DNA-Tests durchführen, registrieren ließ und Ende März ein Match mit einem amerikanischen Cousin ersten oder zweiten Grades übermittelt bekommen habe (5). Nach dieser Nachricht habe es nur noch zwei Minuten gebraucht, um den Spender zu ergoogeln: einen Arzt, der am Universitätsklinikum Essen tätig war, als ihre Mutter dort behandelt wurde. Seinen Namen nennt Stina nicht.

Sie beschreibt in knappen Worten ihr Vorgehen. Mit Hilfe des Namens des Cousins aus der Gendatenbank habe sie im Internet zügig den Nachruf auf einen amerikanischen Onkel des Spenders ausgemacht, worin ein deutscher Neffe erwähnt worden sei. Ähnlich zügig konnte sie wohl den Namen dieses deutschen Neffen einem Mann aus dem damaligen ärztlichen Mitarbeiterstab des Essener Klinikbetriebes zuordnen. Ihr kurzer Bericht endet mit einer positiven Einschätzung der Nützlichkeit von DNA-Tests.

Die Meldung Stinas ist in zweierlei Hinsicht hochinteressant:

Erstens zeigt sich die hohe Relevanz von DNA-Tests im Zusammenspiel mit den Möglichkeiten des Internets. Zweitens ist das Faktum sehr bemerkenswert, dass ein Arzt aus dem unmittelbaren Kontext der behandelnden Einrichtung als Samenspender fungiert haben soll.

1.) DNA-Tests ermöglichen Donor Tracking

Mit dem Trend zur Enttabuisierung und zum offenen Umgang mit der Samenspende etablierte sich auch die Suche der Kinder, Spender und Eltern nach genetischen Verwandtschaftsbeziehungen.

Weltweit werden in den letzten Jahren verstärkt DNA-Tests und das Internet von Betroffenen genutzt, um erstens eine unzutreffende genetische Verwandtschaft zu einem Familienmitglied nachzuweisen und um zweitens Samenspender und genetische Halbgeschwister ausfindig zu machen. Es handelt sich um eine effektive Methode, das gängige Anonymitätsregime der Reproduktionsmedizin zu unterlaufen, das der Ärzteschaft bisher ein deutliches Informationsmonopol zuwies (5). Mit zunehmender Etablierung der neuen Recherche-Methoden wie Internet und DNA-Test muss mittlerweile allen Beteiligten klar sein: Die Anonymität von Samenspenden gibt es nicht mehr.

Genau dies ist ein zentrales Argument gegenüber Eltern, Spendern und Ärzten, sich nicht länger in der falschen Sicherheit zu wiegen, der Samenspender würde für das Kind ohnehin anonym bleiben oder das Kind würde schon nicht von der Spende erfahren. DNA-Tests und Internet stellen machtvolle Instrumente der Gegenwehr und des Empowerments von donogen gezeugten Menschen dar, wenn ihnen Informationen vorenthalten werden. Der Trend zur Entanonymisierung und zur Herstellung von Verbindungen ist nicht mehr aufzuhalten.

So berichtete der deutsche Verein „Spenderkinder“ in den letzten Monaten bereits von 18 erfolgreichen Halbgeschwistertreffern und einigen Matches mit Samenspendern. Im großen Maßstab gibt es auf internationaler Ebene das „Donor Sibling Registry“ in den USA, das von DI-Netz-Ehrenmitglied Wendy Kramer geleitet wird. Im DSR haben sich mittlerweile bei einer Mitgliederzahl von fast 60.000 Personen mehr als 15.000 Matches zu genetischen Halbgeschwistern und Spendern ergeben.

In der derzeitigen Praxis der DI herrscht gegenüber den Wunscheltern immer noch eine Anonymisierung der Samenspende. Es gilt als unumgänglich, dass sie im Vorfeld einer Behandlung nur rudimentäre Informationen über den Spender bekommen können, schon gar nicht über seine Identität. Diese Regel gilt selbst dann, wenn beide Seiten Interesse zeigen, sich vor der Behandlung gegenseitig kennenzulernen. Auch diese ärztliche Praxis, in der es undenkbar erscheint, der Patientin mitzuteilen, um wessen Samen es sich handelt, dürfte durch die Existenz der DNA-Tests, mit deren Hilfe auch von Eltern die genetische Verwandtschaft des Kindes gefunden werden kann, fraglich werden. Mit den Möglichkeiten der DNA-Datenbanken entfällt zunehmend der Grund, nicht nur dem Kind sondern auch der Frau, der der Samen eingeführt wurde, die Information über den Samenspender zu versagen (6).

2.) Ärzte als Samenspender: welche Tragweite?

Neben der Erfolgsmeldung zum eigenen Donor Tracking gibt es eine Besonderheit in dem Fall Stina: Ihrem Bericht zufolge soll nicht etwa irgendein Mann seinen Samen bereitgestellt haben. Kein beliebiger Mann, der wie die meisten anderen Samenspender von außen als Fremder an die Kinderwunschklinik herangetreten ist. Vielmehr sei es ein Arzt gewesen, der damals selbst am Universitätsklinikum tätig gewesen sei und nach seinen eigenen Angaben nur zwei bis drei Mal auf Bitte von Kollegen ausgeholfen habe, als es Engpässe bei der Bereitstellung von Frischsperma gegeben habe. (Zu dieser Zeit gab es noch keine Kryokonservierung.)

Die Meldung Stinas lässt die damalige Funktion des von ihr ermittelten Arztes in der Klinik und seine Rolle im Rahmen der ärztlichen Behandlung ihrer Mutter offen. Folgt man dem Bericht, könnte es sich rein theoretisch um einen beliebigen Medizinstudenten der Klinik gehandelt haben, um einen ärztlichen Kollegen aus der Nachbarabteilung oder aber um einen Mann aus dem kleinen Kreis der Ärzte, die zur gynäkologischen Abteilung gehörten und für die Behandlung der Mutter zuständig waren.

Behandler und Samenbankbetreiber als Samenspender?

Über die Identität des Spenders in dem speziellen Fall Stina ließe sich an dieser Stelle nur spekulieren, da die Autorin den Namen nicht preisgibt.

Unabhängig von dem konkreten Einzelfall stößt Stinas Bericht allerdings weitergehende Grundsatzfragen an, was es eigentlich bedeutet, wenn ein Arzt einer Klinik, eines Kinderwunschzentrums, einer Samenbank oder einer gynäkologischen Praxis, seinen Samen für die/seine dort behandelten Kinderwunschpaare spendet. Wir wissen heute nicht, in welchem Ausmaß dies in der Vergangenheit vorgekommen ist, jedenfalls ergäben sich daraus ernstzunehmende juristische, gesundheitspolitische, ethische und psychologische Fragestellungen.

Aus juristischer Sicht lässt sich zunächst konstatieren, dass im Unterschied zu verschiedenen Skandalfällen im Ausland (vgl. William Pancost, Cecil Jacobson, Thomas Lippert, Gerald Mortimer, Donald Cline, Berthold Wiesner, Jan Karbaats) in Deutschland bisher kein einziger Gerichtsfall bekannt wurde, in dem ein Arzt seine Patientinnen mit eigenem Sperma behandelt hätte (8).

In Deutschland gibt es zur Samenspende von Ärzten kein geschriebenes Recht. Es gibt keine spezifischen, gesetzlichen Vorschriften und keine Rechtsprechung, an der man sich orientieren könnte. Für die allgemeine Rechtslage zwar unbedeutend, aber doch bemerkenswert ist, dass es bisher auch kein anderweitiges juristisches Schrifttum in Form von Expertisen oder Beiträgen in Fachzeitschriften gibt, die sich theoretisch mit den denkbaren Fallkonstellationen ärztlicher Samenspende auseinandersetzen.

Es bleiben nur allgemeine Vertragsgrundsätze.

Samen zu spenden ist für Ärzte keine Straftat. Grundsätzlich kann auch ein Arzt oder Medizinstudent Samenspender sein. Er hat wie jeder andere Mann das prinzipielle Recht, seinen Samen für reproduktionsmedizinische Behandlungen zur Verfügung zu stellen. Der deutsche Gesetzgeber hat bisher kein Gesetz formuliert, das die Samenspende von Ärzten – am eigenen Arbeitsplatz – verbieten würde.

In den Richtlinien des 1995 gegründeten Arbeitskreises Donogene Insemination (AK DI), dem Interessenverband von Samenbankbetreibern und Reproduktionsmedizinern, gibt es allenfalls eine kurze Bestimmung, die nicht weiter begründet wird. Dort steht in den „Richtlinien zur Auswahl von Samenspendern“ von 1995: „Der Therapeut und seine Mitarbeiter können nicht als Spender in Frage kommen.“ (9) und 2006 findet sich in den Richtlinien des Arbeitskreises schließlich der Passus: „Alle Mitarbeiter einer Samenbank oder deren Angehörige können nicht als Spender für die Samenbank tätig werden“ (10). Diese Richtlinien haben nur Empfehlungscharakter, sie entfalten keine gesetzliche Bindungswirkung.

Weiterführend ist hier allenfalls das Vertragsrecht.

Ein Wunschelternpaar, das sich in Behandlung begibt, geht davon aus, dass die Samenspende von einem Dritten stammt. In dem ärztlichen Vorbereitungsgespräch wird in der Regel auch so aufgeklärt. Ist es der Arzt selbst, der den Samen spendet, dann erregt dies qua Täuschung einen Irrtum im Vertragspartner. Vor Gericht müsste später vorgetragen werden, inwiefern ein Schaden eingetreten ist. Der Irrtum dürfte etwa kausal für die Vermögensverfügung sein, die im Hinblick auf die Behandlungskosten erfolgt. Der Schaden könnte definiert werden als Vertrauensschaden. Zu klären wäre, inwiefern neben dem Vertrauensschaden weiterer materieller und immaterieller Schaden entstanden ist (ggf. Schockschaden, gesundheitlicher Schaden der Mutter, das „Kind als Schaden“/wrongful birth erscheint hier unpassend). Die Schadensverursachung durch den Arzt müsste durch die Klägerin nachgewiesen werden (11).

In gesundheitspolitischer Hinsicht stünde die Reproduktionsmedizin in einem neuen Licht da: Der langjährige, hohe und hartnäckige Widerstand der Reproduktionsmedizin gegen die Aufklärung der so gezeugten Kinder, gegen die Abschaffung der Anonymität von Samenspendern, und gegen eine retrospektive Öffnung von Spenderregistern sowie die Verweigerung von Auskünften im individuellen Fall, ergeben in dem neuen Kontext einen anderen Sinn. Manche Forderungen und Empfehlungen von Seiten der Ärzte könnten womöglich überhaupt nicht dadurch motiviert gewesen sein, uneigennützig die Gruppe samenspendender Dritter vor Identifizierung zu schützen. Sie dienten womöglich eher dem Zweck, sich selbst zu schützen, also nicht selbst als heimlicher Samenspender entlarvt zu werden.

Es lassen sich Überlegungen zur psychischen Situation der Beteiligten anstellen, die zwar hochgradig spekulativ sind, aber für die Annäherung an das Thema bedeutsam sein könnten:

Wenn Ärzte eigenen Samen bei der Behandlung von Kinderwunschpatientinnen benutzen, verschaffen sie ihrem Fortpflanzungstrieb einen Raum, der dafür nicht vorgesehen ist. Der Arzt erhält eine gewaltige Zugriffsmacht, indem er einseitig auswählen kann, mit wem er sich fortpflanzen möchte. Dies ist gewaltvoll gegenüber der Patientin, weil von Wunschelternseite der Einsatz eines Dritten als Spender erwartet wird und der Arzt einseitig und ohne zu fragen entscheidet, selbst der Spender zu sein. Sein Handeln ist unbefugt, bedeutet es doch einen massiven Übergriff, auch für den seltenen Fall, dass die Wunscheltern durchaus einverstanden wären, wenn sie gefragt würden, zum Beispiel weil sie den Arzt sympathisch fänden und sowieso lieber einen bekannten Spender hätten. Dieses wesentliche Einverständnis der Wunscheltern, dass Arzt und Spender die identische Person sind, kann der Arzt nicht einfach voraussetzen oder in paternalistischer Weise für irrelevant erklären. Das ist ihm auch bewusst, sonst würde er offen darüber sprechen.

Die psychische Situation von Ärzten, die bei Spendersamenbehandlungen eigenen Samen verwendet haben, wird von Leugnung, Rechtfertigung und Bagatellisierung geprägt sein. Ärzte werden die eigene Samenspende oder die des Kollegen von sich aus nicht offen legen. Sie werden sie erst dann und nur so weit zugeben, wie sie dazu von außen mit Nachweisen wie beispielsweise DNA-Tests konfrontiert werden. Wird die Samenspende eines Arztes aufgedeckt, wird dieser hochwahrscheinlich versuchen, dies als leichtsinnigen Fehltritt enthusiastischer Anfangszeiten der DI zu beschreiben, als eine einmalige Ausnahme oder als spontanes Aushelfen seinerseits, weil gerade kein Frischsperma vorrätig oder der vorgesehene Samenspender nicht greifbar war (12). Vielleicht als eine Idee seiner Medizinerkollegen, auf die man von sich aus eigentlich nicht gekommen wäre. Insgesamt dürfte eine starke Tendenz bestehen, Samenspende wie eine selbstlose Blutspende zu interpretieren, bei der es auf die Person des Spenders nicht ankommt.

Wird bekannt, dass ein Arzt einmal als Samenspender tätig war, unterhöhlt dies die eigene Position und Glaubwürdigkeit. Ein Arzt würde im öffentlichen Diskurs nicht länger als objektiver Profi wahrgenommen werden können. Auch wenn er frühere Haltungen, Spenderanonymität sei unbedingt zu wahren, längst für überholt hält, wird er sich dann im eigenen Interesse gezwungen fühlen, sie aufrechtzuerhalten.

Eine Mutter (13), die erfahren muss, dass ihr Arzt in Wirklichkeit der Samenspender für ihr Kind war, bringt diese Information in eine schwierige Situation.

Einerseits wird sie die Existenz ihres Kindes nicht infrage stellen, sie wird hochidentifiziert mit dem So-Sein ihres eigenen Kindes sein. Fast immer werden Mutter und Vater ihr Kind für richtig befinden und es lieben, genau so wie es ist. Sie werden das Kind nicht „umtauschen“ wollen, und ihm außerdem wünschen, dass es positive Gedanken über seine Abstammung haben kann. Vielleicht ist das Kind längst groß, und sie möchten es gut sein lassen.

Andererseits hat der Arzt massiv in ihre reproduktive Autonomie als Frau eingegriffen. Reproduktive Autonomie beinhaltet grundsätzlich auch, selbst entscheiden zu können, mit wem frau sich fortpflanzen möchte und mit wem nicht. Dieses Recht der Frau auf reproduktive Autonomie wird an sich schon angegriffen, indem sie grundsätzlich nicht über den Spender in Kenntnis gesetzt wird, wenn sie es wünscht (14). Der Arzt hat generell die Entscheidungshoheit, welchen Spender er für welche Frau auswählt. Mit seiner eigenen Samenspende verfügt der Arzt noch invasiver über das Recht auf reproduktive Autonomie, denn die Frau rechnet nicht damit und wurde nicht gefragt, ob sie eventuell auch mit der Spende des Arztes einverstanden wäre. Ungefragt zum Objekt seiner persönlichen Interessen geworden zu sein, bedeutet ein hohes Risiko, dass die Patientin auf die ungebetene Samenspende ihres Arztes mit Abscheu und Ekel und einem Gefühl von Demütigung reagiert (15).

Eine anonymisierte Samenspende anzunehmen ist auf Elternseite in extrem hohem Maße Vertrauenssache. Ein Einlassen auf die Anonymisierung der Samenspende wird der Wunschmutter abverlangt, wenn sie eine Behandlung in Anspruch nimmt. So wie die DI derzeit praktiziert wird, kann sich nur behandeln lassen, wer sich dieser ärztlichen Bedingung der Anonymisierung unterordnet und dem Arzt/der Samenbank ein gewisses Vertrauen schenkt. Die Frau vertraut darauf, dass die Samenspende von einem Außenstehenden stammt. Selbst wenn sich Patientinnen auf die Bedingung der Anonymisierung von Fremdsamen bereitwillig einlassen, ist es für sie nicht einerlei, ob der Arzt seinen eigenen Samen verwendet.

Es ist unwahrscheinlich, dass sich Eltern durch die Samenspende des Arztes geehrt fühlen, die Eltern des Kindes werden viel eher das Gefühl haben, hintergangen worden zu sein und dass ihr entgegengebrachtes Vertrauen in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Arzt missbraucht wurde.

Auch wie ein so gezeugter Mensch, der in Erfahrung bringt, dass es sich bei seinem Samenspender („Bio-Dad“) um den Arzt seiner Mutter handelt, dies psychisch verarbeiten wird, ist keinesfalls sicher vorherzusagen.

Es ist durchaus denkbar, dass sich ein schwieriger Konflikt anbahnen könnte, wenn ein Kind beim (juristischen) Verfolgen seines Anliegens, die Spenderidentität zu erfahren, früher oder später mit der Tatsache konfrontiert ist, dass der Kontrahent im (gerichtlichen) Auskunftsverfahren genau diese gesuchte Person ist.

Der Arzt, der bereits aufgrund dessen, dass er sein Ansehen nicht verlieren will, keinesfalls wünscht, als Spender erkannt zu werden, macht sich von vornherein zum No-Spender, was grundsätzlich nachteilig für die Kinder ist, die die Identität des Spenders erfahren wollen.

Ein so gezeugter Mensch mag verschiedene Gefühle dem Arzt gegenüber haben. Einige werden vielleicht froh sein, nun endlich zu wissen, von welchem konkreten Mann sie abstammen. Insbesondere wenn man die Person selbst aufgespürt hat, mag dies ein starkes und befriedigendes Gefühl von Selbstwirksamkeit sein. Vor dem Hintergrund anonymer Samenspende mag einem die neue Situation, wenigstens in Erfahrung gebracht zu haben, dass es der Arzt war, lieber sein als die Situation, in der der Spender ein Unbekannter bleibt (16).

Die so gezeugte Person könnte dem Arzt aber in Identifikation mit der Idee der Samenspende und mit dem Schicksal seiner Eltern, vielleicht ebenso entsetzt gegenüber stehen wie diese. Hält sie den Arzt für keinen guten und integren Menschen, wird die Wahrnehmung einer genetischen „Verbindung“ zu ihm eine Belastung sein. Eine Identifikation mit dem Spender kann das Kind in innere Konflikte bringen, sich auf der einen Seite mit dem Spender zu identifizieren oder identifizieren zu wollen, vielleicht auch eine erhoffte Beziehung zu ihm nicht aufs Spiel setzen zu wollen, auf der anderen Seite wird es dann nicht frei über ihn und seine Samenspende sprechen oder aber diese verurteilen können. Im Kind wird die Samenspende des Arztes vermutlich Befangenheit auslösen.

Forderungen des DI-Netzes:

DI-Netz fordert reproduktionsmedizinisch tätige Ärzte auf, sich in ihrer Funktion als Arzt an das Abstinenzgebot zu erinnern. In der Behandlung von Patientinnen sollte die Umsetzung eigener Fortpflanzungswünsche ausgeschlossen sein (17).

Das DI-Netz fordert Transparenz hinsichtlich der Samenspenden von Ärzten, die im Feld der Reproduktionsmedizin arbeiten!

Ärzte, die im Feld der Reproduktionsmedizin tätig sind, sollten gesetzlich verpflichtet werden, den Empfängerpaaren die eigene Samenspendebereitschaft bekannt zu geben. Kinderwunschpatienten sollte es ermöglicht werden, selbst zu entscheiden, ob sie die Samenspende eines solches Arztes annehmen möchten. Selbst wenn Patientinnen die Bedingung der Anonymisierung der Spenderidentität im Vorfeld ihrer Behandlung bereitwillig akzeptieren, sollten sie über die Rahmenbedingung unaufgefordert aufgeklärt werden, dass es hier Spender aus dem Umfeld der Behandlung gibt. Falls ein behandelnder Reproduktionsmediziner Spender sein will, muss er bereit sein, sich gegenüber den Empfängern persönlich als Spender anzubieten.

DI-Netz fordert eine offene Debatte zur Samenspende von Ärzten. Auch der Arbeitskreis Donogene Insemination sollte noch einmal auf seine Richtlinien Bezug nehmen und sich offen zu ihnen stellen, sie bestätigen oder verwerfen, zumindest aber seine Entscheidungen und Regeln begründen.

Wenn Ärzte in der Vergangenheit eigenen Samen in der Behandlung von Kinderwunschpatienten verwendet haben, könnten sie zu der allgemeinen Auseinandersetzung beitragen, indem sie eine Aufdeckung nicht abwarten sondern selbst initiieren.

DI-Netz fordert die Abschaffung der alleinigen Zuständigkeit von Ärzten über die Praxis der Spenderauswahl. Derzeit sind die Kriterien der Spenderrekrutierung, der Spenderauswahl und des Matchings in das Belieben von Mitarbeitern der Samenbanken gestellt (18).

Ärzte sollten verpflichtet werden, die reproduktive Autonomie der Frau umfassend zu wahren, indem sie der Patientin die Identität des Spenders mitteilen, wenn sie dies wünscht, und indem sie sie an der Wahl des Spenders beteiligen, wenn sie dies wünscht. Grundsätzlich sollte es Frauen also möglich gemacht werden, aus dem für sie unbekannten, anonymisierten Spender für ihr Kind einen bekannten Spender werden zu lassen. Dies wäre auch eine Präventivmaßnahme gegen unbemerktes Verwenden eigenen Samens durch den Arzt. Mütter haben das Recht, nicht wissen zu wollen, wer der Spender ihres Kindes ist, genauso sollten sie einen Anspruch niedrigschwellig geltend machen können, zu erfahren, wer er ist.

DI-Netz empfiehlt als vertrauensbildende Maßnahme, dass sich Ärzte, die im Bereich der Spendersamenbehandlung tätig sind, bei den bekannten DNA-Datenbanken registrieren lassen, um häufige Befürchtungen von DI-Familien, der Arzt selbst sei womöglich der Spender für ihr Kind, auf eigene Initiative zu entkräften.

Anmerkungen:

* Für gedankliche Anregungen und juristische Erläuterungen danken wir Dr. Helga Müller, Rechtsanwältin in Frankfurt und Ehrenmitglied im DI-Netz.

(1) www.spenderkinder.de; http://www.spenderkinder.de/ueberuns/meinungenundgeschichten/stina/

(2) In einer gemeinsamen Publikation von 1980 berichteten vier damalige Ärzte der Frauenklinik des Universitätsklinikums der Gesamthochschule Essen von 415 Spendersamenbehandlungen im eigenen Haus mit 290 Schwangerschaften und 74 Geburten im Zeitraum von 1976 bis 1980. Katzorke, T.; Propping, D.; Tauber, P.F., Ludwig, H. (1980) Artifizielle Insemination mit Spendersamen (AID): Schwangerschaften bei 290 Ehepaaren. Der Frauenarzt. 5, 405- 411. vgl. Katzorke, T. et al (1981) Results of Donor Artificial Insemination (AID) in 415 Couples. Int. J. Fertil. 26(4), 260 – 266.

(3) Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde abgewiesen. Bernard, A. (2014): Kinder machen. 138; https://openjur.de/u/121544.html

(4) Spenderkinder.de (24.4.18) Spender der Uniklinik Essen identifiziert http://www.spenderkinder.de/spender-der-uniklinik-essen-ueber-dna-test-identifiziert/

(5) DNA-Datenbank melden nur den wahrscheinlichen Verwandtheitsgrad zurück, so auch in Stinas Fall, die von einem Cousin schreibt, der „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ mit ihr verwandt sei s. Fn 4.

(6) vgl. Kennet, D (2018) Personal genetic testing and the implication for he donor conception community. Bionews. https://www.bionews.org.uk/page_96385; Klotz, M. (2016) ‘Wayward relations: Novel searches of the donor-conceived for genetic kinship’, Medical Anthropology, 35(1): 45-57.

(7) Eltern können zwar der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgend (BGH, 28.1.2015 – XII ZR 201/13) und mit der Einführung des neuen Samenspenderregistergesetz ab Juli 2018 die Identität des Spenders erhalten. Dies aber nur um das Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung geltend zu machen, also stellvertretend für ihr minderjähriges Kindes, als Ausfluss ihres Elternrechtes. Ein eigener Anspruch auf Auskunft zur Spenderidentität, der beispielsweise auf ihrem Recht auf reproduktive Autonomie beruht, ist gesetzlich dagegen nicht normiert.

(8) Die „Spenderkinder“- Webseite berichtete allerdings im April 2018 über den Fall Martin, der in einer Frankfurter Praxis durch die Samenspende des inzwischen verstorbenen Arztes Dr. Vladimir Delavre entstanden sei (http://www.spenderkinder.de/spender-kind-verbindung-ueber-dna-test-identifiziert/; http://www.spenderkinder.de/verwandtensuche/entstehungsorte-unserer-mitglieder/ vgl. Hummel, K. (21.10.2017) Kinder von Samenspendern – Wo bist du? http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/spenderkinder-auf-der-suche-nach-ihren-wurzeln-15249066.html.)

(9) in Günther, E.; Von Versen, E. (1995) Richtlinien zur Auswahl von Samenspendern. Akt. Dermatologie. 22, 36 – 37; Absatz B.8.

(10). Arbeitskreis Richtlinien-Novellierung des Arbeitskreis Donogene Insemination (2006) Richtlinien des Arbeitskreis für Donogene Insemination zur Qualitätssicherung der Behandlung mit Spendersamen in Deutschland http://www.donogene-insemination.de/downloads/Richtl_Druckfassung.pdf; Absatz 10, S. 25

(11) Die Ahndung von Fehlverhalten im Feld der Reproduktionsmedizin ist über das Vertragsrecht nur unzureichend abgedeckt. Dies lässt sich an einem jüngsten Rechtsstreit deutlich machen (OLG Hamm, Urteil v. 19.2.2018 – 3 U66/16): Eine Mutter verklagte einen Reproduktionsmediziner, weil er nicht wie abgesprochen Samen vom selben Spender für ein Geschwisterkind bereitgestellt hatte sondern Samen eines anderen Spenders. Die Mutter war in der Nachweispflicht, erstens eine vertragliche Pflichtverletzung des Arztes zu belegen, zweitens einen eigenen gesundheitlichen Schaden zu belegen (Depression, Erschöpfungszustände und Schuldgefühle den Kindern gegenüber, die Psychotherapie notwendig machten) der drittens auch kausal auf die „falsche Samenspende“ zurückzuführen war, so dass ihr viertens ein finanzieller Schadensersatz in Höhe von 7500 € zugesprochen wurde. Die Nachweispflicht des ärztlichen Vertragsverstoßes, des persönlichen Schadens, des kausalen Zusammenhangs und die Verurteilung zum Schadensersatz, d.h. die Zahlung eines Geldbetrages durch den Arzt, wird von vielen Betroffenen sicher nicht als passende Präventiv- und Sanktionsmaßnahme für das wahrgenommene Unrecht erlebt.

(12) Hierbei sollte man bedenken, dass kein großer Schaden entstanden wäre, wenn der Arzt nicht eingesprungen wäre. Man hätte die Patientin ohne Behandlung wegschicken und die Insemination auf einen späteren Zyklus verschieben müssen, was sicherlich ärgerlich gewesen wäre – um einen medizinischen Notfall handelt es sich aber nicht.

(13) Grundsätzlich ist bei der Spende des Arztes natürlich nicht nur das Erleben der Mutter sondern auch das des Wunschvaters/ der lesbischen Partnerin von Belang. Dies ist aber, auch juristisch, komplexer. An dieser Stelle lässt sich der Gedankengang klarer an den reproduktiven Rechten der befruchteten Frau und ihrer psychologischen Situation deutlich machen.

(14) Diese grundsätzliche Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ist wichtig, selbst wenn (heterosexuelle) Kinderwunschpaare derzeit in praxi eine anonymisierte Spende vorziehen. Lesbische Paare und Solo-Mütter äußern schon eher Interesse an mehr Spenderinformationen und Mitsprache. Ein allgemeines Angebot, einen sog. offenen Spender zu wählen, wäre bereits ein Schritt in die richtige Richtung, Bedürfnisse von Kinderwunschpatienten im Rahmen der Regulierung der Samenspende ernster zu nehmen als bisher. vgl. Pennings, G. (2000) The right to choose your donor: a step towards commercialization or a step towards empowering the patient? Human Reproduction. Vol 15 No 3, 508- 514.; Ders. (2011) Sperma op maat: een patientenreecht. Tijdschr. voor Geneeskunde, 67, Nr. 23, 1154 – 1158.

(15) Es kommt zwar auch bei einer gewöhnlichen Donogenen Insemination vor, dass sich Patientinnen angesichts der Vorstellung ekeln, dass Samen, der ihnen eingeführt wird, durch Selbstbefriedigung eines fremden Mannes gewonnen wurde. Doch sobald sich eine Frau für die Behandlung entscheidet, stimmt sie diesem Schritt der Samengewinnung selbstbestimmt und wissentlich zu. Die wechselseitige Anonymisierung ermöglicht ihr vielleicht, von einer genaueren Bildlichkeit, die sie abstoßen könnte, zu abstrahieren und sich zu distanzieren. Zugleich wird auch die Tatsache, dass sich ein Gynäkologe im Rahmen der Behandlung mit ihren Fortpflanzungsorganen und ihren Intimität befassen darf, gewöhnlich erst dadurch möglich, dass sie ihre Zustimmung gegeben hat und sein Handeln in einem professionellen Setting geschieht, in dem Regeln herrschen, die zugleich für Distanz sorgen.

Verwendet der Arzt nun aber eigenmächtig seinen eigenen Samen für die Befruchtung der Patientin, handelt es sich nicht etwa um irgendeine kleinere ärztliche Grenzüberschreitung sondern sie findet an der persönlich bedeutsamen Grenze der Körperlichkeit, Intimität und Privatheit statt. Erfährt eine Patientin später davon, ist es durchaus möglich, dass sich ihr eine Bildlichkeit des Verlaufes intrusiv aufdrängt: Sie wird nun mit dem mentalen Bild leben, wie dieser Arzt kurz vor ihrem Termin in einen Becher ejakuliert haben muss, um seine Patientin mit dem Ergebnis dieses sexuellen Aktes eine halbe Stunde später (heutzutage ein halbes Jahr) zu befruchten. Noch sexualisierter wird diese innere Szene, wenn die Patientin ihrem Behandler unterstellt, dass er ihre Person in seine sexuelle Phantasietätigkeit eingebunden hat. Die Emotion Abscheu auf Seiten der Frau wäre also nicht etwa Ausdruck übersteigerter Prüderie sondern zeigt an, dass hier Grenzen persönlicher Integrität in mehrfacher Hinsicht übertreten wurden.

(16) Beispielsweise in dem Film “Offspring” von Barry Stevens (2001) (https://vimeo.com/128603400) äußerten sich Betroffene enttäuscht, als sich in ihrem Fall herausstellte, dass der Arzt Berthold Wiesner doch nicht ihr Spender war, denn so blieb der eigene Spender weiterhin unbekannt.

(17) Zu den persönlichen Interessen, die nicht in ein Arzt-Patienten-Verhältnis gehören, würde auch die Durchsetzung des persönlichen Interesses eines Arztes an sexueller Selbstbefriedigung, Bestätigung eigener Potenz und Männlichkeit sowie Sexualisierung des Arzt-Patientinnen-Verhältnis zählen.

(18) Ein deutliches Gefälle hinsichtlich der Informations- und Entscheidungsmacht besteht strukturell auch dann noch, wenn fortschrittliche Samenbankbetreiber den Empfängerpaaren zumindest die letzte Wahl aus mehreren Spenderprofilen überlassen oder ihnen wenige Rumpfinformationen über den Spender mitteilen. Es könnte diskutiert werden, ob der Staat angesichts dieser extrem ausgeprägten Machtfülle eines einzelnen Arztes stärker noch als bisher Schutzpflichten übernehmen sollte.