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Antwort der Bundesregierung auf die „Kleine Anfrage“ der GRÜNEN zur Samenspende

Die Bundestagsabgeordnete Katja Keul hat mit ihrer Fraktion, den GRÜNEN, Ende  April eine sogenannte „Kleine Anfrage“ an die Bundesregierung gerichtet. Darin werden Fragen gestellt zum Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung und andere Fragen der Regulierung der Spendersamenbehandlung in Deutschland. Die Antwort der Bundesregierung ist nun da.

Die Abgeordnete Keul kommentiert die Antwort der Regierung so:

In ihrer Antwort auf die grüne Anfrage gibt die Bundesregierung zu, dass sie nur marginale Erkenntnisse zur Samenspende in Deutschland hat. Laut der Antwort hat sie beispielsweise keine Ahnung, wie viele Kinder mithilfe dieser Methode gezeugt werden oder welche Samenbanken in Deutschland tätig sind.

Darüber hinaus verdeutlichen die Aussagen der Bundesregierung, dass klare Regeln fehlen, wie das Recht auf Kenntis der eigenen Abstammung geltend gemacht werden kann und welche Rechte und Pflichten Kinder, Eltern, Spender, Samenbanken oder behandelnde ÄrztInnen haben.

Zwar sind der Bundesregierung Studien bekannt, nach denen eine Beratung für PatientInnen in der Reproduktionsmedizin hilfreich sein kann. Allerdings plant sie keine Maßnahmen in dieser Hinsicht.

Daher wird die grüne Bundestagsfraktion in den nächsten Wochen einen Antrag mit Vorschlägen einbringen, wie die bestehenden Regelungslücken zu schließen sind und wie den mithilfe einer Samenspende gezeugten Kindern, den Menschen mit Kinderwunsch sowie den Spendern Beratung und vor allem Rechtssicherheit gewährleistet werden kann.“

Zur Regelung des Auskunftsrechts: erste Antwort aus dem Justizministerium

Mitte März hat DI-Netz gemeinsam mit BKID einen Brief an das Bundesministerum für Justiz und Verbraucherschutz geschickt, in dem wir auf die für uns offenen Fragen hinsichtlich des Auskunftsrechts unserer Kinder aufmerksam machen.

BMJV Brief BKID DI-Netz 2015 03 11-1

Jetzt erhielten wir aus dem Ministerium eine erste, kurze Antwort:

„…. vielen Dank für Ihr Schreiben vom 13. März 2015, in dem Sie aus Anlass der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar zum Auskunftsrecht von Kindern auf Kenntnis ihrer Herkunft bei Samenspende auf die aus Ihrer Sicht weiterhin klärungsbedürftigen Problembereiche hinweisen.

Wie Sie wissen, hat das Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz einen Arbeitskreis „Abstammungsrecht“ ins Leben gerufen, der am 9. Februar 2015 seine Arbeit aufgenommen hat. Der Arbeitskreis wird sich selbstverständlich ausführlich auch mit dem von Ihnen angesprochenen Thema befassen. Wir haben den Mitgliedern des Arbeitskreises Ihr Schreiben weitergeleitet und werden mit diesen Ihre Hinweise gemeinsam mit weiteren Vorschlägen erörtern.

Danach wird innerhalb der Bundesregierung zu erörtern sein, wie die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft bei Samenspende gesetzlich zu regeln, umgesetzt werden kann.“

– – – DI-Netz bleibt dran und wird weiter berichten…

DI-Netz und BKiD schreiben an das Bundesjustizministerium

DI-Netz hat gemeinsam mit BKiD, der Deutschen Gesellschaft für Kinderwunschberatung, einen Brief ans Bundesjustizministerium geschickt, in dem wir uns zur Konkretierung des Auskunftsrechts der Kinder aus Samenspende äußern. Darin sprechen wir offene Fragen an und Punkte, die es vom Gesetzgeber dringend zu klären gilt.

Zum Nachlesen und Ausdrucken hier das Schreiben: BMJV Brief DI-Netz BKID

Rechtsanwältin Dr. Helga Müller zum Urteil des BGH, Teil 6

Die Rechtsanwältin Dr. Helga Müller (Frankfurt) ist Rechtsexpertin zu Fragen der Spendersamenbehandlung und Ehrenmitglied im DI-Netz. Sie hat sich freundlicher Weise bereit erklärt, für uns Familien im DI-Netz eine Stellungnahme zum Urteil des BGH zu schreiben. Sie erörtert uns wesentliche Aspekte des Urteils und benennt fünf Auskunftsvoraussetzungen.

11. März 2015

Urteil des BGH vom 28. Januar 2015, Az.: XII ZR 201/13

Gerne fasse ich nachstehend – zur Veröffentlichung auf der Website des Vereins – die wesentlichen Punkte des bahnbrechenden Urteils des Bundesgerichtshofes vom 28. Januar 2015 zusammen. Ich werde dabei vor allem die Gesichtspunkte hervorheben, auf die Eltern zu achten haben, wenn Sie zukünftig Spenderdaten für ihre Kinder zu sichern suchen. Ich werde meine Ausführungen mit einem kleinen Rückblick einleiten.

Das Grundgesetz ist seit dem 23. Mai 1949 in Kraft. Damit gibt es seit dem Jahr 1949 die Grundrechte der Menschenwürde, des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes mit seinen verschiedenen Ausformungen und des Schutzes von Ehe und Familie. Die Auslegung der einzelnen Grundrechte ist immer mit der Entwicklung des allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstseins einhergegangen. Die Entwicklung des allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstseins hat sehr viel mit dem Anerkenntnis der Mündigkeit jedes einzelnen Menschen zu tun. Dieses Anerkenntnis der Mündigkeit knüpft an den selbstreflektierten Menschen an, der imstande ist, sich eigene Ziele zu setzen und nicht der autoritären Bevormundung des Staates oder gar einer gesellschaftlichen Elite bedarf, wie sie die Gruppe der Ärzte über Jahrzehnte darstellte. Ich begreife das Urteil des Bundesgerichtshofes in diesem Sinne als eine Erklärung für die Mündigkeit von Spenderkindern und Wunscheltern.

Bereits im Jahr 1989 hat das Bundesverfassungsgericht von einem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gesprochen. Dennoch war es ein jahrzehntelanger Kampf, Ärzten zu verdeutlichen, dass Kinder ein Auskunftsrecht haben, ungeachtet des Umstandes, ob dies in einem Behandlungsvertrag explizit vereinbart worden ist oder nicht. Viele Reproduktionsmediziner stellten in ihrer Beratungs- und Behandlungspraxis ihre persönliche Auffassung an vorderste Stelle und bewahrten Spenderdaten nicht einmal über einen Zeitraum von zehn Jahren auf. Sie meinten, dass es dem Kindeswohl gerechter würde, wenn die Samenspende nicht offenbart würde und folglich auch kein Auskunftsinteresse geweckt würde. Wo die Spenderdaten aufbewahrt wurden, wollten Reproduktionsmediziner die Daten keinesfalls vor dem 18. Lebensjahr bereit stellen. Es war schon ein Erfolg, wenn es gelang, in einzelnen Behandlungsverträgen ein explizites Auskunftsrecht des zu zeugenden Spenderkindes ab dem 16. Lebensjahr zu vereinbaren.

Mit der Einführung einer dreißigjährigen Aufbewahrungsfrist im Geweberecht des 21. Jhdts. haben die jüngeren Spenderkinder erstmals die Sicherheit, dass die Daten ihrer Spender, wenngleich nicht ohne weiteres zugänglich, aber doch für einen längeren Zeitraum aufzubewahren sind. Die Behandlungsverträge und Verträge mit Samenbanken haben sich demzufolge auch in vielen Reproduktionskliniken geändert.

Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 28. Januar 2015 betrifft die jüngere Generation von Spenderkindern, die aufgrund der spezifischen Auffassung des behandelnden Reproduktionsmediziners bzw. der Gesetzeslage bereits darauf bauen konnte und kann, dass die Daten der Spender noch vorhanden sind und herausgegeben werden können.

Von dem Urteil des Bundesgerichtshofes profitieren unverändert nicht diejenigen Spenderkinder, die in dem Film ‚Anonym gezeugt’ von Michaela Bruch und Klaus Berger eine Stimme erhalten haben. Der Film wurde am 5.3.2015, 22.30 h-23.15 h, in der Reihe ‚Menschen hautnah’ des WDR ausgestrahlt. Diese Gruppe von Spenderkindern kann einen Zugriff auf Daten einer Samenbank oder auf Daten, die notariell hinterlegt worden sind, nicht einfordern, weil solche Daten tatsächlich oder angeblich nicht mehr existieren.

Welche Möglichkeiten haben nun aber die Spenderkinder, deren Daten verfügbar sind?

Der Bundesgerichtshof hat am 28. Januar 2015 einen Auskunftsanspruch aus der zivilrechtlichen Generalklausel des § 242 BGB konkret noch nicht bejaht. Er hat aber Kriterien aufgestellt, die erfüllt sein müssen, soll ein Auskunftsanspruch bejaht werden. Anhand dieser Kriterien wird nun in den beiden konkreten Fällen das Landgericht Hannover neu darüber zu befinden haben, ob die Klägerinnen tatsächlich einen Auskunftsanspruch haben oder nicht.

Ich will die Kriterien nachfolgend tabellarisch anführen und erläutern. Eltern wie Spenderkinder können danach sehr genau abwägen, welche Aussichten ihr Auskunftsbegehren im konkreten Fall haben wird.

Ein Auskunftsanspruch besteht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben, wenn es die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen mit sich bringen, dass ein Anspruchsteller, der zur Durchsetzung eines eigenen Rechts auf Auskunft angewiesen ist, in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang seines Rechtes im Ungewissen ist und das Gegenüber unschwer in der Lage ist, die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihm dies zumutbar ist.

Aus diesem Obersatz ergeben sich insgesamt fünf Anspruchsvoraussetzungen.
1.

Es muss zwischen den Parteien eine Rechtsbeziehung bestehen. Juristen nennen diese eine ‚Sonderverbindung’.
Diese Sonderverbindung kann sich grundsätzlich aus einem vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnis, familienrechtlichen oder erbrechtlichen Verhältnis ergeben.

Befasst hat sich der Bundesgerichtshof lediglich mit dem vertraglichen Schuldverhältnis, wie ein Behandlungsvertrag es zu begründen geeignet ist.

Dabei hatte der Senat es offenbar mit Verträgen zu tun, die noch keine explizite Regelung zu einem Auskunftsrecht des Spenderkindes enthalten, wie sie vor allem im Bereich der Behandlung gleichgeschlechtlicher Paare und alleinstehender Frauen seit vielen Jahren verbreitet sind. Nur bei solchen Verträgen kann man von echten Verträgen zugunsten Dritter sprechen. Sie geben dem zu zeugenden Kind ein unmittelbares Leistungsforderungsrecht.

Die Behandlungsverträge, die den beiden zu entscheidenden Fällen zugrunde liegen, hat der Bundesgerichtshof als Verträge mit Schutzwirkung zugunsten des zu zeugenden Kindes definiert. Die daraus folgenden Sorgfalts- und Schutzpflichten der unmittelbaren Vertragsbeteiligten haben zur Folge, dass es mit der Geburt zu einer Rechtsbeziehung zwischen dem Spenderkind und dem Reproduktionsmediziner oder der Samenbank gekommen ist. Spenderkinder können deshalb nunmehr – genauso wie im Fall des echten Vertrages zugunsten Dritter – unmittelbar aus jedem Behandlungsvertrag Auskunftsansprüche gegen den jeweiligen Reproduktions-mediziner oder die jeweilige Samenbank stellen.

Dies setzt jedoch voraus, dass der Anspruchsteller einen Behandlungsvertrag nachweisen kann. Eltern sollten also die Vertragsunterlagen sorgfältig aufbewahren, um diese im Fall des Auskunftsinteresses vorlegen zu können. Auf die Möglichkeit des Nachweises kommt es insbesondere dann an, wenn Unterlagen bei einem Reproduktionsmediziner oder einer Samenbank untergegangen sind und/oder der Abschluss eines Behandlungsvertrages streitig ist.

2.

Auf Seiten des Anspruchstellers muss eine Rechtsposition bestehen, deren Verwirklichung nur im Wege der Auskunft zu erreichen ist, also mit einem Informationsbedürfnis einhergeht. Das fordert zum einen die Existenz einer derartigen Rechtsposition. Es erfordert ferner, dass der Anspruchsteller Träger dieser Rechtsposition ist, d.h. ein Informationsbedürfnis hat. Und es erfordert eine Prozessführungsbefugnis.

Zur Rechtsposition hat sich der Bundesgerichtshof nunmehr erstmals sehr deutlich erklärt.

Es handelt sich um das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung und damit auf Information über die Identität des Samenspenders. Dieses Recht ist Ausfluss des verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) und der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Information kann von elementarer Bedeutung für die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit sein. Der Bezug zu den Vorfahren kann im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für das eigene Selbstverständnis einnehmen und wichtige Anknüpfungspunkte für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und des Verständnisses für die familiären Zusammenhänge einnehmen.

Diese Rechtsposition besteht von Geburt an und nicht erst ab Volljährigkeit oder ab dem 16. Lebensjahr. Denn das Interesse erwacht typischerweise nicht erst ab einem bestimmten Alter. Der Senat hat sämtliche dagegen gerichteten Argumente aus einem vermeintlichen Kindeswohl heraus verworfen.

Es versteht sich von selbst, dass die Inhaberschaft der Rechtsposition im Fall der Auskunft nicht streitig sein darf. Der Anspruchsteller muss tatsächlich die Frucht aus der im Behandlungsvertrag genannten heterologen Insemination sein. Der Tatrcichter hat sich dazu eine Überzeugung zu bilden. In jetzt noch nicht absehbaren Streitfällen wird dies nachzuweisen sein. Zweifelhaft kann die Trägerschaft vor allem dann sein, wenn zur Behandlung ein Samencocktail verwendet worden ist. Für diesen Fall hat der Senat angenommen, dass nur die Auskunft Sicherheit verschaffen kann und deshalb u.U. auch Informationen über mehrere Spender zum Inhalt haben kann.

In Konsequenz des Entstehens der Rechtsposition mit der Geburt hat der Senat die Position der Eltern gestärkt. Sie werden es nun anstelle von Reproduktionsmedizinern sein, die es zukünftig durch Aufklärung der Spenderkinder und Unterstützung bei der Verfolgung von Auskunftsinteressen in der Hand haben, im Rahmen ihrer erzieherischen Verantwortung den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem die Auskunft verlangt wird. Eltern müssen nicht einmal mehr abwarten, bis das Spenderkind ein eigenes Interesse äußern kann. Haben Eltern als gesetzliche Vertreter eines Spenderkindes einen Anlass der Sorge um die Aufbewahrung von Spenderdaten, dann gebietet sich im Interesse des Kindes geradezu eine frühzeitige Geltendmachung des Auskunftsanspruches.

Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsstellung der Eltern also in der Weise gestärkt, dass diese es im Ergebnis sind, die für die Wahrung der Rechtsposition des Spenderkindes – unabhängig von dem Willen des Spenderkindes – verantwortlich sind.

Wichtig ist dabei, dass die Auskunft zum Zweck der Information des Kindes verlangt wird, d.h. mit dem Ziel, die Information an das Kind weiter zu geben. Dazu genügt, dass die Eltern dem Kind die Zeugungsart und die Identität des Samenspenders offenlegen wollen. Ein bestimmter zeitlicher Zusammenhang zwischen der Erlangung der Information und der Weitergabe an das Kind ist nicht erforderlich.

Fordern Eltern als gesetzliche Vertreter eines Spenderkindes Auskunft müssen sie folglich darlegen, dass sie die Information verlangen, um das Kind informieren zu können.

Für die Praxis von Behandlungsverträgen und Spenderverträgen bedeutet das natürlich, dass es fortan überhaupt keinen Sinn mehr macht, eine Anonymität zu vereinbaren.
3.

Der Anspruchsteller muss in entschuldbarer Weise über die Daten des Samenspenders im Ungewissen sein.

Dieses Kriterium ist angesichts der vorgeburtlichen Vereinbarung der Anonymität bzw. Zurückhaltung der Daten im Rahmen von Behandlungsverträgen fast nur formaler Natur. Es ist unzweifelhaft, dass ein Spenderkind, das ein Informationsbedürfnis hat, in entschuldbarer Weise über die Daten des Samenspenders im Ungewissen ist.

4.

Das Gegenüber, d.h. ein Reproduktionsmediziner oder eine Samenbank muss unschwer in der Lage sein, die geforderten Daten des Samenspenders herauszugeben.

Mit diesem Kriterium hat sich der Bundesgerichtshof nicht näher befasst, da in den konkreten Fällen unstreitig war, dass die Spenderdaten verfügbar sind.

In der Praxis wird dieses Kriterium erfahrungsgemäß jedoch eine entscheidende Hürde darstellen. Immer noch gibt es Reproduktionsmediziner, die die Daten nicht lückenlos aufbewahren. Immer noch gibt es Fälle, in denen sich Reproduktionsmediziner Samen mitbringen lassen, deren Herkunft ihnen nicht bekannt ist. Der Überbringer ist es dann allein, der Auskunft erteilen kann. Mit diesem besteht aber nicht notwendig ein Vertragsverhältnis, aus dem im Sinne der Rechtsprechung des Senats eine Sorgfalts- und Schutzpflicht zugunsten des Spenderkindes abgeleitet werden kann.

5.

Die Herausgabe der Daten des Samenspenders muss dem Reproduktionsmediziner oder der Samenbank zumutbar sein.

Zur Frage der Zumutbarkeit ist der Bundesgerichtshof aus gutem Grund auf eine Vielzahl von Interessen auf Seiten der in Anspruch genommenen bzw. in Anspruch zu nehmenden Reproduktionsmediziner, Samenbanken und Samenspender eingegangen. Zu diesen Interessen war und ist immer eine Grundrechteabwägung durchzuführen.

Immer wird es hiernach auf eine Abwägung im Einzelfall ankommen. Bei dieser Abwägung ist jedoch das herausragende Recht des Spenderkindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung dominant.

Ohne maßgebliche Bedeutung ist die immer wieder angeführte Berufsausübungsfreiheit der Reproduktionsmediziner, die um den Bestand von Samenspendern besorgt sind. Reproduktionsmediziner und Samenbanken können sich auch nicht auf ein Geheimhaltungsinteresse berufen, da das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung bereits seit über dreißig Jahren in Rechtsprechung, Rechtsliteratur und vor allem auch den eigenen Richtlinien der Reproduktionsmediziner thematisiert worden ist. Das bedeutet, dass auch drohende Schadensersatzforderungen kein Auskunftsverweigerungsrecht begründen.
Berücksichtigungsfähig soll allein die ärztliche Schweigepflicht (§ 203 Abs. 1 Nr. 1 StBG) sein. Die Schweigepflicht bewirkt, dass auch Rechtspositionen derjenigen Personen mitzuberücksichtigen sind, denen die Schweigepflicht dienen soll. Die Zielrichtung der Schweigepflicht schließt es aus, dass die bloße Berufung auf die Schweigepflicht bereits ausreicht, um eine Auskunft zu verweigern. Konkret müssen vom Auskunftsverpflichteten also Rechte der betroffenen Samenspender oder aber der Kindeseltern vorgetragen werden.

Als erhebliche Rechtsposition von Samenspendern hat der Bundesgerichtshof deren informationelle Selbstbestimmung, gleichfalls ein Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), und den Schutz vor wirtschaftlichen Folgen der Verwandtschaft, ein Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), abgewogen. Nur vordergründig kommt es dabei darauf an, ob der Samenspender über die mögliche Auskunftspflicht informiert worden ist oder nicht. Ist er informiert worden oder hat er von vorneherein auf seine Anonymität verzichtet, fehlt es an jeglichem Schutzbedürfnis hinsichtlich der informationellen Selbstbestimmung. Im Fall der Zusicherung der Anonymität soll das Recht des Samenspenders auf informationelle Selbstbestimmung dagegen hinter dem Recht auf Information zur eigenen Abstammung zurückstehen, zumal mit der Samenspende auch die Übernahme einer sozialen und ethischen Verantwortung einher geht. Nichts anderes gilt für die allgemeine Handlungsfreiheit. Sie steht ohnehin im Rang unter dem Persönlichkeitsrecht der Information zur eigenen Abstammung und kann diesem deshalb nicht vorgehen.

Als erhebliche Rechtspositionen von Kindeseltern hat der Bundesgerichtshof keine von schützenswertem rechtlichem Belang erkannt.

Nach Lage der Prüfung wird den beiden Klägerinnen hiernach ein Auskunftsanspruch vor dem Landgericht Hannover voraussichtlich zuerkannt werden.

Für zukünftige Fälle hat der Senat noch zwei Aspekte angesprochen, die zu Streitpunkten führen können.

Das ist ein Verzicht der Eltern auf eine Information über den Spender. Ein solcher Verzicht kann z.B. in älteren Behandlungsverträgen noch zu finden sein. Hier wird zu unterscheiden sein, ob die Eltern eine Erklärung im eigenen Namen oder im Namen des Kindes abgegeben haben.

Das ist ferner die Frage der Antragstellung, nämlich die Frage, ob Auskunft über die Identität des Samenspenders verlangt werden soll, oder über die Identität des biologischen Vaters. M.E. ist der Senat insoweit dahin zu verstehen, dass es darauf nicht wesentlich ankommt.

Womit sich der Bundesgerichtshof in der Entscheidung überhaupt nicht befasst hat, ist die Frage des Umfangs der Auskunft. Es wird also den Instanzgerichten überlassen bleiben, zukünftig im Einzelnen zu bestimmen, welche Daten zur Feststellung der Identität des Samenspenders und damit der eigenen Abstammung erforderlich sind. Geht man davon aus, dass sich die Identität immer dann feststellen lässt, wenn Daten im polizeilichen Sinne vorliegen, dann wird die Mitteilung des Namens mit Vor- und Zunamen, des Geburtsortes und Geburtstages sowie der letzten gültigen Anschrift und womöglich der Nummer des Personalausweises den Anspruch erfüllen.

Liebe Frau Brügge, ich hoffe, den Mitgliedern Ihres Vereins und der Öffentlichkeitsarbeit des Vereins mit diesen Ausführungen gedient zu haben und wünsche Ihnen allen weiterhin ein fruchtbares Wirken.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Helga Müller
Rechtsanwältin

Urteil des BGH, Teil 5

Der Volltext des BGH-Urteils liegt jetzt vor.

Hier finden Sie die ausführliche Fassung des Urteils des Bundesgerichtshofs.

DI-Netz hat bereits in den letzten Wochen über die Verhandlung berichtet.

Im Urteil werden einige wichtige Punkte klar gestellt, die bisher oft fehlinterpretiert wurden:

1) Es besteht eine Rechtsbeziehung zwischen behandelndem Arzt und Kind. Die Spendersamenbehandlung hört für den Arzt nicht etwa auf, wenn eine Schwangerschaft der Patientin eingetreten ist, vielmehr entsteht eine Rechtsverbindung zwischen Arzt und Kind, aus dem sich ein Auskunftsanspruch des Kindes gegenüber dem Arzt ergibt. (S. 7)

2)  Es besteht laut BGH kein Bedarf, ein Mindestalter für das Auskunftsrecht festzulegen . Das Interesse an den eigenen Wurzeln erwacht nicht erst mit Ende des 16. Lebensjahres. (S. 9)

3) Es wird die Bedeutung des Elternrechts erläutert:

Es liegt in der Verantwortung der Eltern, wann und in welcher Form sie ihr minderjähriges Kind informieren. „Dabei werden sie die Persönlichkeit des Kindes, den Stand seiner Persönlichkeitsentwicklung, seine Verstandesreife, aber auch ihr individuelles Erziehungskonzept berücksichtigen.“ Diese Aspekte entziehen sich weitgehend einer generalisierenden Betrachtung und der Festlegung einer starren Altersgrenze. Es hängt nicht vom Lebensalter des Kindes ab, wann dessen  – aus der Erziehungsentscheidung seiner Eltern folgendes – Informationsbedürfnis entsteht. (S. 10)

Das Auskunftsrecht kann bei Minderjährigen nur durch die Eltern geltend gemacht werden. Und nur zum Zweck der Information des Kindes. (S. 13)

Das Informationsbedürfnis entsteht nicht erst, wenn dem Kind die Tatsache der Samenspende bekannt ist und es nach dem Spender fragt.

Es gibt keinen zeitlichen Zusammenhang zwischen Erlangung der Information durch die Eltern und der Mitteilung an das Kind. Die Eltern üben das Persönlichkeitsrecht des Kindes treuhänderisch aus, und es bleibt ihrer elterlichen Entscheidung überlassen, wann und unter welchen Umständen sie das Kind von seiner Herkunft in Kenntnis setzen. (S. 14, 17)

4) Es wird ein Rechtsvergleich mit dem Auskunftsrecht bei Adoption und der vertraulichen Geburt angestellt. (S. 11-13)

5) Falls es streitig wäre, ob der Samenspender der tatsächliche biologische Vater des Kindes ist, müßte sich ein Gericht eine Überzeugung davon bilden, ob es von der Zeugung mittels der Samenspende ausgehen kann. (S. 14)

6) Im Urteil wird die –  im juristischen Diskurs gewohnte –  etwas formelhafte Begründung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung ausgeführt:

Der Auskunftsanspruch des Kindes ergibt sich aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (freie Entfaltung der Persönlichkeit, Schutz der Menschenwürde). Der Bezug zu den Vorfahren nehme eine Schlüsselstellung für das eigene Selbstverständnis ein. Die Kenntnis der Herkunft könne wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis des familiären Zusammenhangs und für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit liefern. Die Unmöglichkeit, die eigene Abstammung zu klären, kann den Einzelnen erheblich belasten und verunsichern. (S. 16)

Der „Rechtsposition des Kindes wird regelmäßig ein erhebliches Gewicht im Rahmen der Abwägung zukommen (…) „wonach in der Regel zugunsten des Kindes zu entscheiden sei)…“(S.16-17)

7) Die Pflicht des Arztes wird erläutert.

Es sei „dahingestellt“, ob es ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit sei, wenn der Arzt Auskunft erteile. Es sei „nicht ersichtlich, inwieweit durch die Auskunftspflicht die Berufsausübung spürbar eingeschränkt“ werde.

Die Richtlinien der BÄK von 1985 und die Musterrichtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion von 2006 machten den Auskunftsanspruch bereits deutlich: „Mit dem Blick hierauf gehört es seit fast 30 Jahren zu einer an den berufsständischen Richtlinien orientierten Berufsausübung im Bereich der Reproduktionsmedizin, dass die Behandlung im Wissen um den Auskunftsanspruch des Kindes vorgenommen wird.“  Es könne nicht behauptet werden, dass ein entsprechender Auskunftsanspruch erst mit dem Urteil des OLG Hamm begründet worden sei und dass das Bestehen vorher nicht erkennbar gewesen sei. (S. 18)

Es sei Sache des in Anspruch genommenen Arztes, die Belange der Eltern und des Samenspenders bei diesen zu erfragen und ggfs. im Verfahren geltend zu machen. Der Arzt kann sich nicht bloss auf seine Schweigepflicht berufen. (S. 20)

8) In diesem konkreten Rechtsstreit wird nicht geklärt, ob der Umfang des Auskunftsanspruch des Kindes auch Einsicht in die gesamten Behandlungsunterlagen beinhaltet.(S. 24)

9) Das Landgericht soll nun a) klären, ob die Klägerinnen tatsächlich auf die Auskunft angewiesen sind b) klären, ob die Eltern die Auskunft zum Zweck der Information der Klägerinnen verlangen c) die nötige Interessenabwägung vornehmen.(S.25)

 

 

 

 

Besuch aus Japan

Yukari Semba auf Forschungsreise

besuch-aus-japanAm Wochenende hatten wir Besuch aus Japan.  Dr. Yukari Semba ist eine Forscherin, die sich schon seit vielen Jahren mit der Gametenspende befasst. Wir trafen sie bereits im letzten Jahr bei einer Podiumsdiskussion des CERF in Freiburg.

Jetzt hat sie einen Forschungsauftrag der japanischen Regierung erhalten, bei dem es vor allem um das Recht der Kindes auf Kenntnis der Abstammung geht.

Yukari hat zunächst in Berlin eine weitere Familie aus dem DI-Netz interviewt und auch jemanden aus dem Verein „Spenderkinder“. Dann besuchte sie uns am Sonntag in unserem Zuhause in Bielefeld, später dann noch Petra Thorn in Mörfelden.

Sie wollte mehr über unser Netzwerk wissen, wie wir organisiert sind und wie wir unseren Verein aufgebaut haben. Sie fragte nach unserer Haltung zur Spenderanonymität und wie wir mit der Tatsache der Spendersamenbehandlung in der Familie umgehen. Wir erzählen immer gern davon und darüber, was unser Netzwerk bisher alles geschafft hat. Es war für uns ein herzlicher Kontakt mit Yukari, und wir haben auch einiges über die Situation in Japan gelernt. Ein ziemlich kurzweiliger Sonntag für unsere ganze Familie.
Wir freuen uns schon auf den Forschungsbericht für die japanische Regierung, er soll Anfang April fertig sein.

Claudia Brügge und Ulrich Simon

Hier noch ein paar Zeilen von Yukari selbst, an das DI-Netz:

„In Japan there is no law and legislation regarding donor conception yet. The political working group is now preparing for the draft of a donor conception bill. In the draft donor anonymity is one of the big issues. Many people recently say that donor offspring should have a right to know their biological origin. That is the reason why we are required to research about other countries‘ situation about the issue. We need to know about the situation regarding donor anonymity in other countries.

DI-Netz is a nationwide organization in Germany, supporting DI families and persons who are considering DI. It encourages those people to tell the truth to their children about their conception.  I think your work is very important and contributing to the movement for the abolishment of donor anonymity in Germany. I spent a few hours with Claudia and Ulrich, and I could learn a lot of DI-Netz‘ history, works and contribution. The dialogue with Claudia and Ulrich was very helpful to think about the issues regarding donor anonymity in Japan.
 
After the meeting they invited me for lunch. They have one daughter, who was born by DI, and they told her about her conception right from the beginning. During the lunch her talks and smile made all of us happy and made my heart warm. I thought that they and their daughter were made in heaven before they actually met each other. „

Kommentar zum BGH-Urteil, Teil 4

Vom Bundesgerichtshof überholt – ein Kommentar zum BGH-Urteil

von Claudia Brügge, stellv. Vorsitzende DI-Netz e.V.

Aus Sicht von DI Netz e.V. ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.1.2015 sehr zu begrüßen. Dabei gingen die Karlsruher Richter mit ihrer Entscheidung zum Mindestalter des Auskunftsrechts deutlich weiter, als viele von uns erwartet hätten.

Das BGH-Urteil

Der Bundesgerichtshof hatte zu klären, ob zwei minderjährigen Kindern, die mittels einer Samenspende gezeugt wurden, tatsächlich erst ab 16 Jahren ein Auskunftsanspruch auf die Identität des Samenspenders zugestanden werden kann, so wie es das Landgericht Hannover eingeschätzt hatte. Die Aufgabe der Revision war es, die Entscheidung des Landgerichts auf mögliche Rechtsfehler zu prüfen. Der BGH hob jetzt die vorangegangene Entscheidung auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung zurück an die Vorinstanz. Das Landgericht soll nun eingehender als bisher abwägen, wie die rechtlichen Interessen aller Beteiligten – das heißt die Interessen der Kinder und ihrer Eltern, des Spenders und der Klinik – zu gewichten sind.

Eine umfassende, auf den konkreten Einzelfall bezogene Interessenabwägung der Richter ist ein nötiger Schritt in diesem Rechtsverfahren. Diese Interessenabwägung ist keine Aufgabe, die den Kindern oder den Reproduktionsmedizinern aufgetragen ist – so wie dies in der Interpretation manchmal missverstanden wurde. Sie ist Sache der Zivilgerichtsbarkeit.

Zur Rolle des Bundesgerichtshofs

Somit ist der konkrete Rechtsstreit zwischen Kinderwunschzentrum und den beiden Kindern noch nicht abschließend entschieden. Auch hat der BGH kein neues Gesetz geschrieben. Der BGH kam mit dem Grundsatzurteil seiner Aufgabe der „richterlichen Rechtsfortbildung“ nach, indem er das generelle Auskunftsrecht von Abkömmlingen aus Samenspende bestätigte und die besonders hohe Priorität des Persönlichkeitsrechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung bei der Interessenabwägung unterstrich.

Weiterhin ging der Senat davon aus, dass für den Auskunftsanspruch kein Mindestalter erforderlich ist und somit von Geburt an besteht. Mit dieser großzügigen Auslegung hatte das DI-Netz dann doch nicht gerechnet.

Die künftigen Rechtsprechungen der unteren Instanzen werden nun mit hoher Wahrscheinlichkeit dieser Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs folgen. Das Urteil wird die allgemeine Rechtspraxis in Deutschland verändern.

Eines wurde für uns ganz deutlich: Die Art der Verhandlungsführung des Senats und die bundesweite Resonanz auf das Urteil zeigen, dass die Spendersamenbehandlung im modernen Familienrecht kein Schmuddelimage mehr hat. Sie wird pragmatisch, nüchtern und ziemlich selbstverständlich als ein Weg der Familiengründung akzeptiert, den wir nicht weiter zu rechtfertigen haben.

Umso deutlicher zeigt sich jetzt die Notwendigkeit, die Spendersamenbehandlung ein für alle mal rechtsverbindlich zu regeln.

Mehr Rechtssicherheit: der Gesetzgeber muss handeln

Mit dem höchstrichterlichen Urteilsspruch ist noch nicht alles geklärt. Es besteht auch nach dem BGH-Urteil gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Darüber sind sich alle Interessenvertreter im Bereich der Spendersamenbehandlung – erwachsene Kinder, Eltern, Ärzte und Berater – einig. In der deutschen Rechtsordnung fehlt ein ausreichender Schutz für den Samenspender, und diese Rechtsunsicherheit ist international einzigartig. Es braucht zügig eine gesetzliche Freistellung des Samenspenders von möglichen Unterhaltspflichten, damit alle Beteiligten ihre vorgesehenen Rollen unbelastet einnehmen können statt füreinander eine potentielle Bedrohung darzustellen.

Will man die Unruhe im Feld wirklich verhindern und Worst-Case-Szenarien verhindern, dann muss der Gesetzgeber dringend handeln, um das Risiko auszuschließen, dass der Samenspender zum rechtlichen Vater gemacht werden kann. Dies ist zwar in der deutschen Geschichte faktisch noch nicht vorgekommen. Doch die Anfechtbarkeit der rechtlichen Vaterschaft durch das Kind müsste vom Gesetzgeber jetzt kritisch geprüft werden.

Darüber hinaus sollte eine zentrale, unabhängige Dokumentationsstelle eingerichtet werden, um dem Kind die Ermittlung seiner Herkunft und den Zugang zur Dokumentation zu erleichtern. Ein solches nationales Spenderregister sollte aus unserer Sicht am besten an das Bundesgesundheitsministerium angegliedert sein.

Die Entdeckung des Elternrechts

DI-Netz begrüßt das Urteil aus Karlsruhe, weil es hinsichtlich der Samenspende Klärungsprozesse sowohl auf gesellschaftlicher Ebene (politisch, rechtlich) als auch persönlich und innerfamiliär vorantreibt. – Der BGH hat nicht nur die Rechte der minderjährigen Kinder gestärkt. Er betont auch das Elternrecht, wie es in Artikel 6 des Grundgesetzes verankert ist. Die Wahrung der Kinderrechte wird im Elternrecht den Eltern zugewiesen: Wir Eltern haben als rechtliche Vertreter unserer minderjährigen Kinder für ihr Wohl zu sorgen – nun auch in den Belangen, die die Informationen zum Samenspender betreffen.

Das Urteil wirft nicht nur jede Menge Fragen zur sinnvollen Regulierung der Donogenen Insemination auf. Mit dem Urteil kommen auch auf uns DI-Eltern neue Fragen und Herausforderungen zu, die mit den zugewiesenen Handlungsspielräumen einhergehen. Elternverantwortung beinhaltet unser Grundrecht und unsere Grundpflicht, für die Belange unserer minderjährigen Kinder einzutreten. Der BGH jedenfalls traut uns zu, innerhalb unserer Familien verantwortungsvoll zu entscheiden, ob und wann das Kind die Identität des Samenspenders erfahren soll.

Fragen und Entscheidungen auf Elternseite

Wenn wir Eltern, wie es das Urteil nahe legt, jetzt viel früher selbst die Identität des Spenders erfahren können, müssen wir eine Haltung aufbauen, wie wir mit diesem größeren Kompetenzbereich im besten Sinne unserer Kinder umgehen wollen. Das kann für uns Eltern auch Anstrengung bedeuten. Eltern haben sich jetzt nicht mehr nur die Frage zu beantworten, ob sie das Kind über die Tatsache der Spendersamenbehandlung aufklären werden. Sie müssen sich auch Gedanken darüber machen, ob und ab wann ihr Kind mit ihrer Hilfe Kenntnis von der Identität des Spenders erlangen soll. Nimmt man das Urteil aus Karlsruhe ernst, werden Eltern jetzt je eigene Antworten auf eine Fülle von Fragen finden müssen:

  • Braucht unser Kind mehr Information über den Spender oder eben gerade nicht?
  • Sollte es etwas über den Spender wissen, wenn es etwas über ihn in Erfahrung bringen kann?
  • Was genau wäre mit der Kenntnis des Namens des Spenders für unser Kind gewonnen?
  • Sollte man die Auskunft über den Spender besser jetzt einfordern oder später?
  • Ist es für unser Kind besser, die Daten zuhause abzuheften oder sollten wir sie besser weiterhin dem Aktenschrank des Arztes anvertrauen? Oder wollen wir auf ein staatliches Spenderregister warten?
  • Und letztlich stellt sich auch hier die typische Gewissensfrage von Eltern: Werden wir auch in der Rückschau zufrieden sein mit der jeweiligen Richtung unserer individuellen Entscheidungen? Dies betrifft beispielsweise die Aufklärung des Kindes, die Berücksichtigung des Kindeswillens, die Datenhinterlegung, die Auskunftsanfrage beim Arzt, die eigene Prozessfreudigkeit. Werden wir unsere Entscheidung später unserem Kind gegenüber verantworten können?

Mit der BGH-Entscheidung entsteht also vermehrt persönlicher Reflexionsbedarf in den Familien, was vermutlich auch mehr Unterstützungs- und Beratungsbedarf mit sich bringen wird.

Zwei Gruppen von Eltern werden durch das BGH-Urteil in jedem Fall anders erreicht als bisher: Eltern, die bisher nicht bereit waren, ihrem Kind von der Samenspende zu erzählen, weil sie ihm dann keinerlei weitere Informationen über den Spender geben könnten. Bei ihnen dürfte das BGH-Urteil die Bereitschaft zur Aufklärung erhöhen. Ebenso werden solche Paare gewissermaßen von der Straße in die Kinderwunschzentren geholt, die bisher auf die juristisch prekäre Lösung einer privaten Samenspende zurückgegriffen haben, um für das Kind zu gewährleisten, dass ihm Informationen über den Spender zur Verfügung stehen.

Bedenken

Die Hervorhebung des Elternrechts wird manchen Skeptikern nicht gefallen. Vielleicht, weil manch einer uns Eltern ohnehin nicht ganz für die rechtmäßigen Eltern hält. Vielleicht auch, weil man Eltern nicht die Kompetenz zutraut, solche Dinge gut und richtig für ihr Kind zu entscheiden. Oder aber, weil man es prinzipiell nicht gern sieht, dass die Personalien des Spenders in die Hände von Eltern gelangen. Schon gar nicht so frühzeitig und bevor das Kind selbst von der Samenspende weiß und sie begreifen kann.

Auch manche Eltern werden sich mit den Konsequenzen des Urteils schwer tun. Je mehr Anonymität bisher von außen vorgegeben war, umso weniger brauchten Eltern sich der eigenen Ambivalenz gegenüber der Person des Spenders zu stellen. Solange sie davon ausgehen mussten, dass ihr Kind die Informationen über den Spender nicht einfach bekommen kann (als Erwachsene kaum und schon mal gar nicht im Kindesalter), solange konnten sie der Frage ausweichen, inwiefern ihr Kind Kenntnis von der Identität des Spenders für seine Entwicklung braucht.

Die Maxime von DI-Netz e.V.: Elterngeleitet und kindzentriert

Wir Eltern im DI-Netz sprechen mit unseren Kindern offen über die Tatsache der Spendersamenbehandlung. Aber Hand aufs Herz: Eltern selbst äußern selten brennende Neugier auf die Person hinter der Samenspende. Viele Eltern erleben es so, dass der Spender – bei aller Offenheit – im Familienalltag lange Zeit keine Rolle spielt und zu spielen braucht. Wir nehmen allerdings unsere Elternverantwortung sehr ernst. Wenn es also um die Wahrung der Rechte und Bedürfnisse unserer Kinder geht, setzen wir uns nachdrücklich dafür ein, dass unsere Kinder Zugriffsmöglichkeiten auf Informationen über ihre Herkunft bekommen, das heißt über den Spender. Es wäre beruhigend zu wissen, dass unsere Kinder jederzeit – identifizierende wie nicht-identifizierende – Informationen über den Spender bekommen können, falls wir den Eindruck gewinnen, dass sie das brauchen.

Was macht DI-Netz?

netzwerk

Chronik der Aktivitäten und Neuigkeiten aus dem DI-Netz:

2012

2013

  • Im Februar gründeten wir offiziell den Verein DI-Netz. Er wurde zügig ins Vereinsregister eingetragen und als gemeinnützig anerkannt.
  • Wir nahmen die ersten Mitglieder auf und konnten zusätzlich acht ausgewiesene Fachexperten als Ehrenmitglieder gewinnen.
  • Wir gaben eine Presseerklärung zum Urteil des OLG Hamm heraus.
  • Im Wahljahr 2013 haben wir Wahlprüfsteine an alle Parteien geschickt und …
  • … haben auch von allen Antworten bekommen.
  • Wir haben einen Brief an Reproduktionsmediziner geschrieben.
  • Wir haben eine Stellungnahme zur gesetzlichen Lage der
    Spendersamenbehandlung verfasst.
  • Wir haben den ersten Band von „Telling und Talking“ (Autorin: Olivia Montuschi) ins Deutsche übersetzt. Unser „Offen gesprochen“ erscheint im FamART-Verlag.
  • In Zusammenarbeit mit DI-Netz schrieb Stefan Remigius das Buch „Das Geheimnis des ehrenwerten Hauses“

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  • Im November haben wir auf dem Erlanger Symposium einen Vortrag mit dem Titel „Mit Spendersamen zum eigenen Kind – aus Elternperspektive“ gehalten, der auch verschriftlicht ist. Der Text beschreibt den besonderen Weg, den DI-Eltern gehen. Er erläutert unsere Haltung und erzählt von den bisherigen Aktivitäten des DI-Netzes. › Text zum Vortrag

2014

2015

  • Wir waren als Prozeßbeobachter beim BGH zum Auskunftsrecht unserer Kinder. Wir äußerten uns dazu in mehreren Medien und berichteten fortlaufend auf der Webseite in einer 7-teiligen Serie. Die Familie, die geklagt hatte, hatte Erfolg und erhielt die Spenderdaten.
  • Die ersten Vorbereitungsseminare in Eigenregie zum Thema „Familiengründung mit Spendersamen“ finden statt.
  • Einladung zur Expertenanhörung des Deutschen Ethikrates zum „Vergleich von Embryonen- und Samenspende“. Zuvor machten wir zu dePK5_9548-lr-2n Fragen des Deutschen Ethikrates eine Expertenumfrage im DI-Netz . Inzwischen bietet DI-Netz für Familien nach Embryonenspende ein vorübergehendes „Hosting“ für die Vernetzung untereinander und gibt Beratung bei Fragen der Aufklärung. Im April 2016 erschien schließlich die Stellungnahme des Ethikrates „Embryospende, Embryoadoption und elterliche Verantwortung“.
  • Treffen von europäischen Elternvertretern auf einer Tagung in Ghent (Belgien)
  • Wir wurden zu einem Fachgespräch der grünen Bundestagsfraktion eingeladen, um über eine Gesetzesidee zu diskutieren, Samenspende als Adoption zu regeln. Zusätzlich verfaßten wir eine gemeinsame kritische Stellungnahme von DI-Netz, BKiD und AKDI. Auch  erläuterten wir noch einmal die differenten Positionen von DI-Netz und dem Verein „Spenderkinder“.
  • Wir wurden als Sachverständige zu einer Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages eingeladen. Es ging um einem Gesetzesentwurf, der eine erweiterte KostenübeDSC01315 (2)rnahme durch die GKV anvisierte. Ebenso gab es dazu eine schriftliche Stellungnahme des DI-Netzes.
  • Wir nahmen an einer Veranstaltung von Adoptionsfachkräften teil und stellten unseren Verein kurz vor.
  • Unsere jährliche Mitgliederversammlung tagte in Berlin. Mit Vortrag „Dreißig Monate DI-Netz – dreißig Meilensteine“

2016

2017

  • Auch Band 3 „Offen gesprochen – Über die Familiengründung mit Spendersamen reden mit Kindern zwischen 12 und 16 Jahren“ ist von uns fertig aus dem Englischen übersetzt und erscheint wie alle anderen Bände auch beim FamART-Verlag.
  • DI-Netz schickt Mitgliedern des Bundesrates einen Kommentar zum Regierungsentwurf  für ein Samenspenderregister, um sich für den Erhalt vorhandener Spenderdaten aus der Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes einzusetzen.
  • Wir haben Postkarten und Poster zu den drei wichtigsten Positionen des DI-Netzes entworfen: für die gesellschaften Anerkennung unserer Familien, für die frühe Aufklärung der Kinder und für das Recht unserer Kinder auf Kenntnis der Abstammung.
  • Wir legen einen ausführlichen Bericht über unsere Umfrage bei allen deutschen Samenbanken und Kinderwunschzentren von 2016 vor.
  • DI-Netz beteiligte sich mit Infostand, Vorträgen und Diskussionsbeiträgen an der ersten deutschen Kinderwunschmesse – die „Kinderwunsch Tage“ in Berlin am 18./19. Februar und äußerte sich dazu in den Medien.
  • Einladung des DI-Netzes als Sachverständige bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages.
  • Gemeinsame Pressemitteilung von BKiD und DI-Netz zum geplanten Spenderregistergesetz. Wir fordern erneut eine Regelung für die sog. Altfälle und Beratungs- und Moderationsangebote für die Beteiligten.
  • Claudia Brügge veröffentlicht eine weitere Buchkritik zum „Spenderkinder“-Buch in der „Mabuse“-Zeitschrift
  • DI-Netz ist Prozeßbegleitung für eine Familie aus dem Verein, in der die Samenbank zur Auskunft der Spenderidentität verurteilt wird. (AG Wedding, 13 C 259/16)
  • Wir schreiben einen „Offenen Brief“ an beide großen Kirchen. Darin kritisieren wir einen Beitrag des Moraltheologen Reiter in der Broschüre „Woche für das Leben“, in dem er abschätzig über die Samenspende spricht.
  • DI-Netz nahm an der BKiD-Tagung „Kinderwunsch? Beratung“ in Hamburg mit einem eigenen Informationsstand teil.
  • Im Mai fand die letzte Bundestagssitzung zum neuen Samenspenderregistergesetz statt. Im Juli war das Gesetz endgültig verabschiedet. DI-Netz hatte im Vorfeld intensiv Lobby-Arbeit betrieben. Im Rahmen der politischen Arbeit gab es persönliche und schriftliche Kontakte zu den Parteien, zu einzelnen Politiker-Innen und zu den Bundesministerien, schriftliche Stellungnahmen des DI-Netzes, sowie Einladungen in die Gremien und Bundestagsausschüsse. Wir konnten feststellen, dass wir auf einige wichtige Punkte, teilweise bis in einzelne Formulierungen hinein, Einfluss nehmen konnten, andere wichtige Aspekte blieben leider ungeregelt. Wir berichteten über den politischen Prozeß in einer insgesamt 20-teiligen Serie auf unserer Webseite.
  • Für die englischen „Bionews“ verfaßte Vereinsvorsitzende Claudia Brügge in Zusammenarbeit mit Petra Thorn einen kurzen Kommentar über die Stärken und Schwächen des neuen Samenspenderregistergesetzes.
  • DI-Netz untersuchte vor der Bundestagswahl die Wahlprogramme aller Parteien nach ihrer Agenda im Feld des, Familienrechtes, der Reproduktionsmedizin und vor allem im Bereich Samenspende. Zusammen mit BKiD, AKDI und Wunschkind e.V. verfaßten wir Wahlprüfsteine und bekamen von fast allen Parteien eine Antwort, außer von der AFD. Außerdem schrieb DI-Netz an alle Parteien, damit sie sich für unsere Belange auch in der kommenden Legislaturperiode einsetzen.
  • DI-Netz war Mitveranstalter bei der internationalen Tagung „Familienbildung mit Hilfe Dritter – Herausforderungen, Lösungsansätze, Familienrealitäten“. Hauptveranstalter war das Institut für medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Göttingen um Prof. Dr. Wiesemann und Dr. Katherina Beier, weiterer Kooperationspartner war BKiD. Es gab insgesamt 16 Vorträge. Unter den Vortragenden waren mehrere Mitglieder und Ehrenmitglieder des DI-Netzes. Während es am ersten Tag eher allgemein um den Bereich „Third-Party-Reproduction“ ging, konzentrierte sich der zweite Tag auf das Thema Samenspende.
  • Direkt im Anschluss an die Göttinger Tagung fand unsere Mitgliederversammlung statt.
  • Vereinsvorsitzende Claudia Brügge hielt im November eine Fortbildung für den Medizinischen Arbeitskreis Profamilia NRW zum Thema: „Familiengründung mit Spendersamen“.