Offener Brief zur „Woche für das Leben 2017“

Die bundesweite Kirchen-Aktion „Woche für das Leben“ (28.4. – 6.5.) hatte in diesem Jahr das Motto „Kinderwunsch – Wunschkind – Designerbaby“. Zum Motto und zur Begleitbroschüre gab es von mehreren Seiten Kritik. Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Peter Dabrock forderte zu mehr Sensibilität und Verständnis gegenüber Kinderwunschpatienten auf.

Auch das DI-Netz hat sich wegen des „Grundsatzbeitrages“ des Moraltheologen Prof. Johannes Reiter mit einem „Offenen Brief“ an die Kirchenvertreter gewandt:

Sehr geehrter Herr Landesbischof Bedford-Strohm, sehr geehrter Herr Kardinal Marx, sehr geehrter Herr Prof. Reiter,

mit großem Interesse hat der Verein „DI-Netz e.V. – Familiengründung mit Spendersamen“ von der „Woche des Lebens 2017“ Kenntnis genommen. Unser Verein steht mit über 300 Familien in Kontakt, die mit Spendersamen (Donogene Insemination, DI) gegründet wurden, und vertritt deren Interessen deutschlandweit und darüber hinaus.

In unserem Netzwerk sind viele Familien, die den christlichen Glauben leben. Unser Ziel ist, dass unsere Kinder selbstbewusst mit ihrer Form der Entstehung umgehen und dass ihre soziale Umgebung, einschließlich der Gesellschaft insgesamt, dieser Form der Familiengründung mit Respekt und Wohlwollen begegnet. Dabei stellen wir immer wieder fest, dass das Wissen über die tatsächliche Situation von DI-Familien gering und nicht selten von Vorurteilen geprägt ist. In diesem Sinne haben uns auch Teile des einführenden Grundsatzbeitrages von Prof. Reiter im Begleitheft zur „Woche für das Leben“ 2017 irritiert. Im Folgenden möchten wir gerne einigen Zitaten aus diesem Beitrag unsere Sicht der Dinge gegenüberstellen.

Auf Seite 6 bis 7 des Themenheftes heißt es: „Als Grund für eine heterologe Insemination wird angeführt: Das Kind sei – anders als bei einer Adoption – wenigstens mit einem Elternteil verwandt. Die Vorbehalte werden im Hinblick auf das Wohl des Kindes vorgebracht, das durch die Trennung von genetischer, leiblicher und sozialer Elternschaft gefährdet sei. Kann das Kind erfüllen, was sich die Eltern nach all dem Aufwand von ihm erhoffen? Hat es sogar eine Dankespflicht gegenüber seinen „Herstellern“? Es ist auch denkbar, dass sich der Ehemann als lediglich sozialer Vater von dem Kind distanziert, insbesondere bei dessen ungünstiger Entwicklung.

Hierzu möchten wir zunächst folgendes anmerken:

Vermeintliche Gefährdung des Kindeswohls:

Nach unserer Erfahrung wachsen Kinder aus Samenspende ohne psychosoziale Beeinträchtigungen auf, sofern die Eltern sie frühzeitig über die Art ihrer Entstehung aufklären und die Eltern diese Form der Familiengründung reinen Herzens wählen. Dazu gibt es mittlerweile auch reichlich Belege in der Fachliteratur – die in den Literaturangaben des Themenheftes allerdings nicht genannt sind. Den Wunscheltern steht eine Fülle an Beratungsmöglichkeiten bereit, um sich mit den besonderen Anforderungen der Familiengründung mit Spendersamen vertraut zu machen. Gleichwohl kann man nie ausschließen, dass sich zumindest ein Elternteil nicht voll mit der DI identifiziert. Doch je mehr das gesellschaftliche Umfeld die Samenspende als respektable Form der Familiengründung akzeptiert, desto geringer dürften auch die Vorbehalte der Eltern sein.

Erfüllung der Hoffnungen der Eltern, „Dankespflicht“:

Aus diesen Formulierungen sprechen unserer Ansicht nach groteske Vorstellungen von Elternschaft nach Samenspende. Die Eltern im Umfeld unseres Vereins jedenfalls führen ein ganz normales Familienleben. Die Vorstellung, unsere Kinder unter Erwartungsdruck zu setzen, als vermeintliche „Gegenleistung“ für den Aufwand der Kinderwunschbehandlung, ist befremdlich. Gleiches gilt für eine „Dankespflicht“. Ein jedes Kind, egal welcher Herkunft, sollte seinen Eltern möglichst dankbar sein können für das, was es im Laufe seines Lebens von ihnen bekommt. Aber Kinder stehen ihren Eltern gegenüber in keiner Bringschuld für ihre Zeugung. Darüber hinaus empfinden wir es als despektierlich, Eltern gleich welcher Schattierung als „Hersteller“ zu bezeichnen.

Mögliche Distanzierung des sozialen Vaters von seinem Kind:

Solche Distanzierungen sind in der Tat möglich – aber uns sind keine Studien bekannt, die belegen würden, dass Distanzierungen dieser Art bei DI-Vätern häufiger auftreten als bei leiblichen Vätern. Erfahrungen im Umfeld unseres Vereins zeigen im Gegenteil ausgesprochen enge Verhältnisse zwischen den Kindern und ihren sozialen Vätern.

In dem „Grundsatzbeitrag“ heißt es weiter:

Man möchte die heterologe Insemination daher nur unter bestimmten Bedingungen zulassen: umfassende psychosoziale Beratung des Ehepaares vor der Behandlung, das Kind hat nach Ablauf des 16. Lebensjahres ein Auskunftsrecht über seine Herkunft, kein Entgelt für den Samenspender, keine Verwendung von Samengemischen.

Zu den hier postulierten Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Samenspende stellen wir fest:

Psychosoziale Beratung des Paares:

DI-Netz hält zertifizierte Beratung von Wunscheltern für wichtig, damit sie sich über die besonderen Aspekte der Familiengründung durch Spendersamen im Klaren sind. Und wir freuen uns, dass auch wir vom DI-Netz den Kinderwunschpaaren und Familien an dieser Stelle bereits viel Unterstützung anbieten können.

Auskunftsrecht des Kindes:

DI-Netz tritt uneingeschränkt für ein Auskunftsrecht der Kinder über ihre Herkunft ein. Aus diesem Grund lehnt DI-Netz anonyme Samenspenden ab. Dieses Recht ist im Übrigen auch höchstrichterlich bestätigt, und seine Inanspruchnahme erfordert kein Mindestalter des Kindes. Leider sind manche Kinderwunschpraxen nur eingeschränkt bereit, diesem Recht zur Geltung zu verhelfen.

Kein Entgelt für den Samenspender:

Wir sehen keine stichhaltigen Argumente gegen eine Aufwandsentschädigung für Samenspender. Zwar könnte man vermuten, dass es die Kinder emotional belasten könnte, wenn sie erführen, dass der Samenspender finanzielle Motive verfolgte. Aber zum einen zeigt sich in Befragungen von Samenspendern, dass der Wunsch, kinderlosen Familien zu helfen, für viele ein wichtiges Motiv ist. Zum anderen spielen die Motive des Samenspenders nach unserer Erfahrung für die seelische Gesundheit des Kindes eine völlig untergeordnete Rolle. Im Übrigen sind mit einer Samenspende derart umfangreiche Befragungen, Tests und persönlicher Aufwand verbunden, dass sie ein so geringes Entgelt (etwa 100€), wie es in Deutschland für den „Spender“ gezahlt wird, unserer Auffassung nach vertretbar erscheinen lassen.

Keine Verwendung von Samengemischen:

Dies lehnt auch DI-Netz ab, da der genetische Vater dann nicht mehr ohne weiteres identifizierbar wäre. In deutschen Kinderwunschpraxen werden auch keinerlei Samengemische verwendet. Diese Vorgabe wurde in Deutschland längst in der Berufsordnung der Reproduktionsmediziner verankert.

Weiterhin heißt es auf Seite 10 des Grundsatzbeitrags: „Die Fortpflanzungsmedizin mag sich in einigen wenigen Fällen als heilsam erweisen, in anderen Fällen ist sie jedoch zweifelhaft, in einigen extremen Anwendungen eine Tat menschlicher Hybris. Insgesamt scheinen die Probleme, die sie erzeugt, größer als jene, die sie löst.

Ein „Sammelfazit“ ist unseres Erachtens ungeeignet, den ganz unterschiedlichen Formen der Reproduktionsmedizin gerecht zu werden. Jedenfalls erweist sich die Familiengründung mit Spendersamen unserer Erfahrung nach in sehr vielen Fällen als heilsam, und möglichen Problemen ist durch eine gute gesetzliche Regulierung und Reflexion der Beteiligten gut beizukommen. Ein Großteil der Probleme resultiert aus der noch mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz dieser Form der Familienbildung, an der auch die Kirchen ihren Anteil haben mögen.

Seite 13: „Bei seiner Ablehnung sämtlicher Methoden der Fortpflanzungsmedizin im homologen ebenso wie im heterologen System beruft sich das katholische Lehramt im Wesentlichen auf die Würde der ehelichen Fortpflanzung (Auflösung des Zusammenhangs von Liebe und Zeugung) und auf die Gefährdung der Würde und der Rechte des Kindes (Geschenk der Liebe und nicht Produkt einer Labortechnik).“

Wir erkennen bei der Samenspende nur eine Auflösung des Zusammenhangs zwischen rein körperlicher Liebe und Zeugung, wobei der soziale und rechtliche Vater bei der donogenen Insemination durchaus anwesend ist. Und nur durch seine Zustimmung und die seiner Frau kommt die Samenspendebehandlung erst in Gang. Ausschlaggebend für die Elternschaft ist aus unserer Sicht in erster Linie die emotionale Liebe der Partner zueinander und die Bereitschaft, gemeinsam Verantwortung für das Kind zu übernehmen. Insofern ist auch ein Kind aus Samenspende ein Geschenk der Liebe, und wir sehen die Rechte und die Würde des Kindes nicht gefährdet. Die Gabe des Samenspenders ist aus unserer Sicht immer auch ein Akt mitmenschlicher Solidarität und Nächstenliebe.

Sollten die zentralen Stellungnahmen der großen deutschen Kirchen zum ausgesprochen dynamischen Gebiet der Reproduktionsmedizin im Allgemeinen und zur Samenspende im Besonderen tatsächlich 30 Jahre alt sein, so raten wir dringend zu einer Aktualisierung.

1. Wir empfehlen eine Kontaktaufnahme zu Verbänden und Vereinen, in denen die betroffenen Familien vertreten sind. Im DI-Netz sind auch Experten als Ehrenmitglieder vertreten, zum Beispiel Dr. Petra Thorn (Mitglied im Deutschen Ethikrat), Dr. Tobias Fischer (Ethikexperte), Dr. Helga Müller (Rechtsexpertin), Prof. Dr. Ken Daniels (internationale Expertise).

2. Das DI-Netz ist Ihnen gern auch mit Hinweisen auf weiterführende Literatur behilflich. Es ist bereits einige Literatur aus dem angelsächsischen Raum verfügbar, an denen Fachkräfte, die seit Jahrzehnten mit dem Thema befasst sind, mitgewirkt haben. Zur Praxis der deutschen Samenbanken hat DI-Netz soeben eine eigene Studie veröffentlicht (http://www.di-netz.de/wp-content/uploads/2017/02/DI-Netz-Studie-Spendersamenbehandlung-in-Deutschland-2016-end-1.pdf)

3. Studien zur Situation in unseren Familien in Deutschland sind gerade in Arbeit. Zum einen gibt es beispielsweise die Studie von Amelie Baumann von der Universität Bremen (http://reconfiguring-anonymity.net/?page_id=42), zum anderen das größere Forschungsprojekt des Staatsinstitutes für Familienforschung in Bamberg (http://www.di-netz.de/wp-content/uploads/2017/04/Bedarfe-von-Familien-nach-Familiengr%C3%BCdnung-mit-reproduktionsmedizinischer-Assistenz.pdf).

Grundsatzfragen zu beantworten erfordert unseres Erachtens den intensiven Austausch mit Betroffenen und die Rezeption neuster Forschungsergebnisse. In diesem Sinne würden wir uns freuen, mit dieser Stellungnahme zum Denkprozess in den beiden großen Kirchen Deutschlands über die Samenspende beizutragen. Gerne stehen wir für Rückfragen bereit.