71. Deutscher Juristentag richtungsweisend (Gesetzgebung, Teil 4)

Vom 13. bis 16. September 2016 tagte der 71. Deutsche Juristentag in Essen. Die Abteilung Familienrecht befaßte sich mit dem Thema Rechtliche, biologische und soziale Elternschaft und den Herausforderungen, die durch neue Familienformen entstehen.

Für uns war der diesjährige Juristentag also sehr wichtig, immerhin gehen vom DJT oft entscheidende Impulse für die Gesetzgebung aus. Claudia Brügge hat als Stellvertreterin des DI-Netzes den Juristentag besucht und hatte dort Gelegenheit, mit führenden Rechtsexperten persönlich ins Gespräch zu kommen.

Als Grundlage der gemeinsamen Diskussion des DJT diente das Rechtsgutachten des Marburger Universitätsprofessors Tobias Helms, der seine Thesen vor Ort in den entsprechenden Diskussionsabschnitten noch einmal zusammenfaßte und kurz erläuterte (Das Gutachten ist brillant und lesenswert. Es ist im Buchhandel günstig zu erhalten oder für DI-Netz-Mitglieder aus der Vereinsbibliothek ausleihbar.). Ebenso gab es zu Beginn der Veranstaltung vier einführende Referate von Prof. Dr. Dr. Gerd Brüdermüller, der Richterin des Bundesverfassungsgerichtes Prof. Britz und der Schweizer Rechtsprofessorin Ingeborg Schwenzer mit jeweils ergänzenden Thesen. Prof. Susanne Walper fügte mit einem abschließenden Referat noch weitere Erkenntnisse aus sozialwissenschaftlich-empirischer Perspektive hinzu. Vorsitz und Moderation übernahm Prof. Dr. Nina Dethloff.

Zwei Tage wurde dann auf hohem Niveau über die vorgestellten Thesen mit den Besuchern des DJT diskutiert. Juristische Experten aus dem akademischen Feld, aus der allgemeinen Rechtsprechung und der oberen Gerichtsbarkeit, sowie Ministerialbeamte aus verschiedenen Bundesministerien, sozialwissenschaftliche und juristische Experten aus dem akademischen Feld und Jura-Studenten beteiligten sich an der sehr konzentriert geführten Debatte. Zum Schluß erfolgte die Abstimmung der DJT-Mitglieder über etwa vierzig Thesen.

Für das Feld, das uns besonders interessiert die Samenspende (im medizinischen wie im privaten System, aber auch andere fortpflanzungsmedizinische Bereiche wie Eizell- und Embryonenspende sowie Leihmutterschaft) hat der Deutsche Juristentag folgendes beschlossen (Anmerkung: Beschlüsse des Juristentages beinhalten zwar keinerlei aktuelle Rechtsverbindlichkeit üben aber oft deutliche Signalwirkung auf die Gesetzgebung aus.)

Auszug aus der Beschlussfassung des 71. .Deutschen Juristentages:

A.) Künstliche Befruchtung mittels Samenspende bei verschiedengeschlechtlichen Paaren

I.) Einwilligung der Wunscheltern in die künstliche Befruchtung mittels Samenspende

1. (Begründung der rechtlichen Elternschaft des Einwilligenden)

Wird ein Kind durch künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten gezeugt,

a.     wird das Kind abstammungsrechtlich der Person zugeordnet, die mit Zustimmung der Mutter in diese Befruchtung eingewilligt hat,

b.    kann als weiterer Elternteil die Person gerichtlich festgestellt werden, die mit Zustimmung der Mutter in diese Befruchtung eingewilligt hat.

2. (Umfassender Anfechtungsausschluss)

Ist das Kind durch künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten gezeugt worden, ist die Anfechtung der Elternschaft der Person, die mit Zustimmung der Mutter in diese Befruchtung eingewilligt hat, ausgeschlossen.

3. (Formerfordernis für Einwilligung)

Für die Einwilligung der Wunscheltern in die künstliche Befruchtung ist ein Formerfordernis zu schaffen.

4. (Widerruf der Einwilligung)

Ein Widerruf der Einwilligung in die künstliche Befruchtung ist nur bis zum Zeitpunkt der Befruchtung möglich.

II. Rechtsstellung des Samenspenders

5. (Ausschluss der gerichtlichen Feststellung)

Ist das Kind durch künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten gezeugt worden, kann dieser nicht als rechtlicher Vater des Kindes gerichtlich festgestellt werden.

III. Anwendungsbereich

6. (Samenspende)

Die Grundsätze zur Samenspende finden Anwendung, wenn Samen verwendet wird, der

a. einer Samenbank zur Verfügung gestellt wurde (offizielle Samenspende)

b. nicht einer Samenbank zur Verfügung gestellt wurde, und die Mutter und der genetische Vater vor der Zeugung des Kindes erklärt haben, dass dem genetischen Vater keine Elternposition zukommen soll.

c. Ist im Fall der privaten Samenspende dem Kind kein zweiter rechtlicher Elternteil zugeordnet, kann der Samenspende jedoch als Vater des Kindes gerichtlich festgestellt werden.

IV. Recht auf Kenntnis der eigene Abstammung

7. (Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung)

Wird ein Kind aufgrund einer Keimzellspende gezeugt, sind die persönlichen Daten des Keimzellenspenders in einem zentralen staatliche Register zu dokumentieren.

8. (Abstammungsklärungsverfahren)

Es ist ein Verfahren zur isolierten (rechtsfolgenlosen) Klärung der Abstammung von einem mutmaßlich leiblichen, aber nicht rechtlichen Elternteil einzuführen.

B.) Gleichgeschlechtliche Elternschaft

I. Adoption […]

II. Abstammungsrechtliche Regelungen

  1. (Schaffung einer Elternstellung der Partnerin)

Es ist die Möglichkeit vorzusehen, dass die lesbische Partnerin der Geburtsmutter bereits bei der Geburt die rechtlichen Elternschaft erlangt.

  1. (Anwendbarkeit der abstammungsrechtlichen Regelungen zur Vaterschaft)

a. Bei lesbischen Paaren sind die auf den Vater und die Vaterschaft Bezug nehmenden Bestimmungen auf die Partnerin der Geburtsmutter entsprechend anwendbar, d.h. weiterer Elternteil eines Kindes ist die Frau,

  • die zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes in eingetragener Lebensparnterschaft lebt,
  • die die Elternschaft anerkannt hat oder
  • deren Elternschaft – aufgrund ihrer Einwilligung in die Vornahme einer künstlichen Befruchtung – gerichtlich festgestellt ist.

b. Bei lesbischen Paaren sind die auf den Vater und die Vaterschaft Bezug nehmenden Bestimmungen auf die Partnerin der Geburtsmutter zumindest dann entsprechend anwendbar, wenn das Kind durch eine offizielle Samenspende gezeugt wurde oder wenn die Mutter und der genetische Vater bei einer privaten Samenspende vor der Zeugung des Kindes erklärt haben, dass dem genetischen Vater keine Elternposition zukommen soll (These 6a und b).

C. Leihmutterschaft

  1. (Rechtliche Elternstellung der Wunscheltern bei Leihmutterschaft im Ausland)

Ist eine Leihmutterschaft im Ausland nach den dort geltenden Regeln legal durchgeführt worden, ist die nach dem Recht des Geburtsland etablierte Elternschaft der Wunscheltern im Inland – im Allgemeinen – zu akzeptieren. Hierfür sind entweder im deutschen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht oder im deutschen Sachrecht geeignete Mechanismen zu entwickeln.

  1. (Erleichterte Erlangung der Elternstellung bei Leihmutterschaft)

Soweit zur urspünglichen Familiengründung eine Leihmutterschaft stattfindet, ist die Stiefkindadoption zu erleichtern und sind weitere Wege zur schnellen Erlangung rechtlicher Elternschaft vorzusehen.

[…]

Die Gesamtheit der Beschlüsse des DJT lassen sich hier nachlesen (die familienrechtlichen Beschlüsse auf den Seiten 41-55.) Beschlüsse aus der Abteilung Familienrecht beinhalten auch Beschlüsse zu Adoption-, Pflege- und Patchworkfamilien.