Urteil des BGH, Teil 5

Der Volltext des BGH-Urteils liegt jetzt vor.

Hier finden Sie die ausführliche Fassung des Urteils des Bundesgerichtshofs.

DI-Netz hat bereits in den letzten Wochen über die Verhandlung berichtet.

Im Urteil werden einige wichtige Punkte klar gestellt, die bisher oft fehlinterpretiert wurden:

1) Es besteht eine Rechtsbeziehung zwischen behandelndem Arzt und Kind. Die Spendersamenbehandlung hört für den Arzt nicht etwa auf, wenn eine Schwangerschaft der Patientin eingetreten ist, vielmehr entsteht eine Rechtsverbindung zwischen Arzt und Kind, aus dem sich ein Auskunftsanspruch des Kindes gegenüber dem Arzt ergibt. (S. 7)

2)  Es besteht laut BGH kein Bedarf, ein Mindestalter für das Auskunftsrecht festzulegen . Das Interesse an den eigenen Wurzeln erwacht nicht erst mit Ende des 16. Lebensjahres. (S. 9)

3) Es wird die Bedeutung des Elternrechts erläutert:

Es liegt in der Verantwortung der Eltern, wann und in welcher Form sie ihr minderjähriges Kind informieren. „Dabei werden sie die Persönlichkeit des Kindes, den Stand seiner Persönlichkeitsentwicklung, seine Verstandesreife, aber auch ihr individuelles Erziehungskonzept berücksichtigen.“ Diese Aspekte entziehen sich weitgehend einer generalisierenden Betrachtung und der Festlegung einer starren Altersgrenze. Es hängt nicht vom Lebensalter des Kindes ab, wann dessen  – aus der Erziehungsentscheidung seiner Eltern folgendes – Informationsbedürfnis entsteht. (S. 10)

Das Auskunftsrecht kann bei Minderjährigen nur durch die Eltern geltend gemacht werden. Und nur zum Zweck der Information des Kindes. (S. 13)

Das Informationsbedürfnis entsteht nicht erst, wenn dem Kind die Tatsache der Samenspende bekannt ist und es nach dem Spender fragt.

Es gibt keinen zeitlichen Zusammenhang zwischen Erlangung der Information durch die Eltern und der Mitteilung an das Kind. Die Eltern üben das Persönlichkeitsrecht des Kindes treuhänderisch aus, und es bleibt ihrer elterlichen Entscheidung überlassen, wann und unter welchen Umständen sie das Kind von seiner Herkunft in Kenntnis setzen. (S. 14, 17)

4) Es wird ein Rechtsvergleich mit dem Auskunftsrecht bei Adoption und der vertraulichen Geburt angestellt. (S. 11-13)

5) Falls es streitig wäre, ob der Samenspender der tatsächliche biologische Vater des Kindes ist, müßte sich ein Gericht eine Überzeugung davon bilden, ob es von der Zeugung mittels der Samenspende ausgehen kann. (S. 14)

6) Im Urteil wird die –  im juristischen Diskurs gewohnte –  etwas formelhafte Begründung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung ausgeführt:

Der Auskunftsanspruch des Kindes ergibt sich aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (freie Entfaltung der Persönlichkeit, Schutz der Menschenwürde). Der Bezug zu den Vorfahren nehme eine Schlüsselstellung für das eigene Selbstverständnis ein. Die Kenntnis der Herkunft könne wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis des familiären Zusammenhangs und für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit liefern. Die Unmöglichkeit, die eigene Abstammung zu klären, kann den Einzelnen erheblich belasten und verunsichern. (S. 16)

Der „Rechtsposition des Kindes wird regelmäßig ein erhebliches Gewicht im Rahmen der Abwägung zukommen (…) „wonach in der Regel zugunsten des Kindes zu entscheiden sei)…“(S.16-17)

7) Die Pflicht des Arztes wird erläutert.

Es sei „dahingestellt“, ob es ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit sei, wenn der Arzt Auskunft erteile. Es sei „nicht ersichtlich, inwieweit durch die Auskunftspflicht die Berufsausübung spürbar eingeschränkt“ werde.

Die Richtlinien der BÄK von 1985 und die Musterrichtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion von 2006 machten den Auskunftsanspruch bereits deutlich: „Mit dem Blick hierauf gehört es seit fast 30 Jahren zu einer an den berufsständischen Richtlinien orientierten Berufsausübung im Bereich der Reproduktionsmedizin, dass die Behandlung im Wissen um den Auskunftsanspruch des Kindes vorgenommen wird.“  Es könne nicht behauptet werden, dass ein entsprechender Auskunftsanspruch erst mit dem Urteil des OLG Hamm begründet worden sei und dass das Bestehen vorher nicht erkennbar gewesen sei. (S. 18)

Es sei Sache des in Anspruch genommenen Arztes, die Belange der Eltern und des Samenspenders bei diesen zu erfragen und ggfs. im Verfahren geltend zu machen. Der Arzt kann sich nicht bloss auf seine Schweigepflicht berufen. (S. 20)

8) In diesem konkreten Rechtsstreit wird nicht geklärt, ob der Umfang des Auskunftsanspruch des Kindes auch Einsicht in die gesamten Behandlungsunterlagen beinhaltet.(S. 24)

9) Das Landgericht soll nun a) klären, ob die Klägerinnen tatsächlich auf die Auskunft angewiesen sind b) klären, ob die Eltern die Auskunft zum Zweck der Information der Klägerinnen verlangen c) die nötige Interessenabwägung vornehmen.(S.25)